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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
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mehr auf einem Ozean überlebt hatten, über dem der Fleck und seine Sturmsprösslinge ihre Runden drehten. Sein Grundgerüst bildeten Pontons aus Plastik-Ölfässern und Tonnen, überzogen von glitschigen, imprägnierten Planen, die mit orangefarbenen Stricken festgezurrt waren. Diese Konstruktion war früher durch eine Basis aus genmanipuliertem Seetang verstärkt worden, ein von AxysCorp entwickeltes Substrat, das sich von Sonnenlicht und den Produkten des Meeres ernährte, das wuchs und sich selbst reparierte. Nathan Lammockson hatte gehofft, dass diese Wundersubstanz die Rettung einer durchnässten Menschheit sein würde, doch wie sich herausgestellt hatte, wies sie einige fatale genetische Mängel auf. Nachdem sie schwarz geworden und zerbröckelt war, hatte Thandies Floßgemeinschaft Ersatzmaterialien von den Wracks anderer, noch unglücklicherer Flöße ergattern können, wiederverwerteten Abfall der untergegangenen Zivilisation unter ihren Kielen.
    Auf dieser Basis stand eine Art schwimmender Hüttensiedlung aus Plastikplanen und Wellblech, abgedichtet gegen das Wetter und die Salzluft des Meeres. Die Menschen lebten von Fisch und anderen Meeresgeschöpfen, von Vogeleiern und verarbeitetem Seetang, und sie sammelten ihr Trinkwasser in Eimern, wenn es regnete. In der Mitte des Floßes befand sich so etwas wie eine Farm, ein Haufen Mutterboden von dem Hang in den Anden, an dem das Floß gebaut worden war. Dort wuchsen magere Feldfrüchte, liebevoll gehegt und gepflegt von alten Leuten. Es gab sogar Hühner in einem großen, an eine Wand gebundenen Plastikkäfig. Zur Stromerzeugung diente eine Reihe von Windmühlen, die über der Farm aufragten, und es gab
leuchtend grüne Solarpaneele von AxysCorp, die sich, selbst fast so etwas wie Lebewesen, eigenständig reinigten und reparierten. Es war ein fortwährender Kampf, all dies instand zu halten, weil das Salzwasser unablässig die Erde vergiftete, die Feldfrüchte verdorren ließ und die Elektrik sowie alle Metallteile zerfraß.
    Die jüngeren Generationen halfen widerwillig. Sie interessierten sich nicht für Farmen. Sie interessierten sich nicht mal für künstliches Licht. Sie fertigten Fischöllampen an, benutzten sie aber nur selten. Wenn der Himmel klar war, gab es Mondschein und Sternenlicht sowie die Lumineszenz von Lebewesen im Meer. Und außerdem, wer brauchte nachts Licht? Man benötigte kein Licht, um zu schlafen oder zu vögeln. Während die letzten an Land geborenen Veteranen sich also abmühten, all dieses alte Zeug am Laufen zu halten, sprangen die jungen Leute, Boris und seine Generation, vom Rand des Floßes und tauchten im endlosen Ozean.
    Thandie wurde geduldet. Die Leute ließen sie allein mit ihren Obsessionen, ihrer Naturwissenschaft, ihren Apparaturen und Theorien. Das Floß war voller Kinder und voller Eltern, die sich um sie kümmerten, sie ernährten, mit ihnen spielten, ihnen Kleider aus ausgeblichenen, abgenutzten Resten zusammennähten – obwohl viele Kinder und sogar einige der jüngeren Erwachsenen in der ewig warmen, feuchten Luft zur Nacktheit übergingen. Die Strömungen ihres Lebens umspülten Thandie, als wäre sie ein Monument in einer Flut, die Statue einer längst vergessenen Heldin …
     
    Der von der Decke geschützte Handheld in ihrem Schoß piepste leise.
    Sie war wieder eingenickt. Dies war die fünfte Nacht, der Himmel ein Deckel aus schwarzen Wolken. Sie holte den kleinen
Computer hervor und suchte in ihrem Mantel fluchend nach ihrer uralten Lesebrille.
    Die Nachricht kam von Elena Artemowa, Thandies ehemaliger Geliebter, die jetzt durch das Alter, das Meer und eine Art müder Gleichgültigkeit von ihr getrennt war. Elena befand sich auf einem anderen großen Floß, das über dem Wasserleichnam Rio de Janeiros trieb. Auf das neue Licht am Himmel aufmerksam geworden, hatte sie eine zufällige Beobachtung eines Floßes über Los Angeles entdeckt. »Das heimkehrende Schiff erscheint also zuerst am Himmel über Nordamerika«, mailte Elena. »Das ist doch bestimmt kein Zufall …«
    Thandie sah sich die Beobachtung aufmerksam an, eine kurze Videosequenz mit schlechter Auflösung, aufgenommen durch ein Teleskop auf einem Floß.
    Dann wartete sie, bis Boris aus dem Wasser kam, tropfnass, dreizehn Jahre alt, mit harten Muskeln und flachem Bauch, der Mund verschmiert von Fischöl, der Penis schlaff vom enthusiastischen Unterwassersex. Sie forderte ihn auf, sich neben sie zu setzen, und erklärte ihm die Abfolge von

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