Die Letzte Arche
Erziehung der armen Theo genossen hatte. Sein Vater, den er immer »der General« nannte, war – zu Recht oder zu Unrecht – zu dem Schluss gelangt, dass es für seinen Sohn nur eine einzige Option in einer im Wasser versinkenden Welt gab, nämlich eine militärische Laufbahn. Jede davon abweichende Entwicklungstendenz hatte er unterbunden. In anderen Zeiten hätten sich Theos Persönlichkeit und seine Talente vielleicht auf ganz andere Weise entfalten können, wenn er die Gelegenheit dazu bekommen hätte.
Aber das galt wahrscheinlich auch für sie selbst. Keiner von ihnen würde es jemals erfahren.
In Zane 3s Gegenwart wurde ihr bewusst, wie müde sie war. Seit der Aufteilung waren sieben Jahre verstrichen, und die Bürde, das Modul intakt zu erhalten, lastete immer schwerer auf ihr. Sie besaß nur sehr wenige Ersatzteile, Redundanzen oder Reserven gab es kaum, und die Reparatur jedes Defekts, ja sogar die Herstellung von Ersatzteilen in der Maschinenwerkstatt, die nie so gut waren wie das Original, verlangte Erfindungsreichtum. Der Gedanke, dass die Reise vielleicht noch weitere zweiundzwanzig Jahren dauern würde, drückte sie nieder. Sie war ständig müde.
Aber sie musste dieses Gefühl draußen vor der Tür des OPs lassen und sich auf Zane konzentrieren. Vielleicht tat es ihr gut, zwei Bürden zu haben, die sie ablenkten, statt bloß eine.
Als Zane hypnotisiert war, vergewisserten sie sich, dass die Aufzeichnungsgeräte funktionierten, und Holle trug Datum und Uhrzeit in ein Tagebuch ein. »In Ordnung, Zane. Wir werden versuchen, dir zu helfen, das Alter Ego willkommen zu heißen, das wir Zane 1 nennen.«
Theo warf einen Blick auf die Notizen in seinem Handheld. »Zane 1 ist siebzehn Jahre alt. Er trägt die Scham in sich, die du empfunden hast, als Harry Smith dich auf der Akademie missbraucht hat. Das war seine Aufgabe, deshalb ist er erschaffen worden. Um dir zu helfen, damit fertigzuwerden.«
Zane grinste spöttisch. »Das sagst du .«
»Bist du an deinem sicheren Ort?«
»Ich bin im Museum. In meinem Zimmer.«
»Was siehst du?«
»Die Tür ist offen.«
Holle fragte: »Was siehst du, wenn du durch die Tür schaust?«
»Einen Jungen. Er hat Angst.«
»Ich weiß. Aber du kannst ihm helfen, Zane. Kannst du zu ihm gehen und ihn zu dir ins Zimmer holen?«
»Ich weiß nicht.« Zane zuckte auf der Liege.
»Du kannst ihn jederzeit wieder hinausschicken, wenn du willst.«
Zane lag eine Minute lang schweigend da, dann bewegte er sich.
»Ist er da?«
»Er steht neben mir. Er ist kleiner als ich. Mager. Er zittert irgendwie. «
»Kann ich mit ihm sprechen?«
Zane erschauerte, und als er wieder sprach, klang seine Stimme ein kleines bisschen höher. »Ich sehe nichts. Es ist dunkel.«
Es war immer dunkel gewesen, wenn Harry Smith zu Zane gekommen war. »Weißt du, wer ich bin?«
»Doc Wetherbee?«
Diesen Dialog wiederholten sie jedes Mal. »Nein. Ich bin Holle. Doc Wetherbee hat mich um Hilfe gebeten. Weißt du noch, dass wir darüber gesprochen haben?«
»Ja.«
»Und weißt du noch, was wir heute tun wollten?«
»Du hast gesagt, du wolltest mich dazu bringen, in Zane 3 hineinzugehen.«
»Und wie findest du das?«
»Ich weiß nicht, was es bedeutet.« Er rieb sich die Arme. Sie waren von den kleinen Narben der Selbstverletzungen übersät, die er sich immer noch gelegentlich zufügte. »Ich bin schmutzig. Ich sollte mich vorher waschen. Zane wird mich nicht haben wollen.«
»Nein, du bist sauber. Innen drin. Zane weiß das, Zane 3. Er möchte dich willkommen heißen, weil er dir dadurch helfen kann, er kann dir deinen Schmerz nehmen, und du kannst ihm helfen, weil er sich an das erinnern muss, woran du dich erinnerst. Es ist also eine rundum gute Sache, nicht?«
»Wenn ich in ihn hineingehe, verschwinde ich.«
»Nein. Du wirst noch da sein, all das, was dich einzigartig macht. Du wirst lediglich in Zane 3 drin sein, nicht mehr außerhalb von ihm. Ich werde dich nicht vergessen.«
Auf einmal schlug Zane die Augen auf und sah Holle direkt an. Sein Gesicht war verzerrt. »Versprich mir das.«
Holle hatte Zane, Venus oder Matt nie geholfen, während der Missbrauch tatsächlich stattfand, obwohl alle Kandidaten geahnt
hatten, was Harry Smith tat. Jahrelang hatte sie nichts sehen und nichts hören wollen, weil sie Angst um ihre eigene Position gehabt hatte. Als sie nun diese flehentliche Bitte um Hilfe vernahm, als käme sie aus dem Mund des kleinen Jungen, der Zane damals gewesen war,
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