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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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ja richtig verantwortungsvoll geworden.«
    »Ganz genau. Wie geht’s denn so, Arch?«
    »Alles bestens. Zum Glück sind Ferien. Ich hab jeden Tag mit Zoe geskypt. Wir treffen uns an Silvester, da fährt sie nach London zu ihrer Tante.«
    »Freut mich«, sage ich, obwohl allein Zoes Name mir einen Claire-förmigen Schmerz durch den Körper jagt.
    »Was macht die Schule?«, frage ich ihn, um das Thema zu wechseln.
    »Ach, hör auf. Ist der letzte Scheiß. Diese beknackten Mönche triezen uns den ganzen Tag.« Er sagt eigentlich was anderes als »beknackt«, und ich sehe, wie die kleinen Jungs einander mit großen Augen ansehen.
    »Ach … du hast einfach keine Ahnung, wie es in so einem Internat zugeht. Lauter bescheuerte Regeln und Vorschriften« – er sagt auch nicht »bescheuert« – »man kommt sich richtig vor wie im Knast.« Dann schlägt er sich die Hand vor den Mund. »Hoppla, tut mir leid.«
    Zuerst denke ich, dass er sich dafür entschuldigt, weil er vor den Kindern geflucht hat. Dann merke ich, dass es einen anderen Grund hat.
    »Ich wollte nicht … Ich meine, vielleicht kommst du ja gar nicht … Stimmt doch, oder?«
    Atticus und Ludo richten ihre gleich großen und gleich runden Augen auf mich. Mir wird vor lauter Scham ganz heiß. »Ja, stimmt«, murmele ich.
    »Zoes Vater ist Polizist, und der hat gesagt, dass viele Fälle überhaupt nicht vor Gericht kommen.«
    Ich denke kurz darüber nach. Dann noch ein bisschen länger. »Du hast Zoe davon erzählt ?«
    Archie nickt. »Natürlich. Sie kennt dich doch … und da dachte ich …« Seine Stimme erstirbt und er sieht mich an. »Hmm … tut mir leid«, sagt er mit leiser Stimme, die sich so gar nicht nach Archie anhört.
    Zoe weiß, dass ich vielleicht ins Gefängnis muss. Sie erzählt es bestimmt allen anderen auf der Parkview. AlsoBrian und Jamie. Carl. Max. Mr Hunt. Mr Henderson. Claire.
    Claire und Ellie und ihre ganze Familie. Dann wissen sie alle, dass ich ins Gefängnis muss.
    Gestern noch dachte ich, ich hätte die Hoffnung aufgegeben, dass Claire jemals wieder mit mir spricht. Trotzdem muss ich immer noch gehofft haben. Denn wenn nicht – was ist da gerade in mir gestorben?
    Vor meinen Augen verschwimmt alles. In mir ist ein heulender, verzweifelter Laut eingesperrt, den ich nur zurückhalten kann, indem ich die Lippen fest aufeinanderpresse und durch die Nase atme. Ich muss hier weg. Ich brauche irgendwo ein Fleckchen für mich allein, wo ich mich verstecken kann, wo ich das tun kann, was ich tun will, ohne mich vor einer Horde neuer Verwandter komplett zu blamieren.
    Ich drehe mich um, stürme aus dem Zimmer und renne die Treppe runter. Sie scheinen mir nicht zu folgen, aber falls doch, muss ich ihnen auf jeden Fall entkommen. Und zwar schnell. Lieber Gott, hilf mir. Hilf mir, bitte.
    Ich komme bis zur Haustür. Ich habe nicht vor, abzuhauen … will nur irgendwo ungestört sein. Aber in dem Augenblick klingelt es und ich mache einen Satz zur Seite. Ich renne durch die leere Küche in den Wäscheraum. In den friedlichen, ruhigen, gemütlichen Wäscheraum, wo das Surren der Waschmaschine wahrscheinlich jedes andere Geräusch überdeckt.
    Ich drücke mir ein frisch gewaschenes Handtuch vors Gesicht, atme seinen beruhigenden Duft ein, aber es hilftnichts. Mein Schluchzen wird immer heftiger und lauter, meine Augen füllen sich mit heißen Tränen. Zum Glück habe ich das Handtuch, um das Geräusch zu ersticken, sonst würde mich das ganze Haus wie ein Baby heulen hören. Was zum Teufel soll ich dagegen ausrichten? Wahrscheinlich muss ich mich hier für immer versteckt halten.
    Es kommt mir wie Stunden vor, aber schließlich hört mein Körper auf zu zittern. Die Tränen versiegen und trocknen. Ich wische mir mit dem feuchten Handtuch übers Gesicht und kriege einen kurzen Schluckauf. Wahrscheinlich sehe ich grässlich aus. So kann ich nicht raus und den anderen gegenübertreten. In meinem Hals steckt ein dicker, fetter, panischer Kloß.
    Dann erblicke ich den großen Berg Bügelwäsche, der nur darauf wartet, gebügelt zu werden. Das wäre doch bestimmt hilfreich … niemand hätte etwas dagegen … nur ein Hemd. Oder zwei. Bis ich mich beruhigt habe. Ich stecke den Stecker des Bügeleisens in die Steckdose.
    Jetzt höre ich die Stimme meines Dads in der Diele. Helen ist so froh, dass er gekommen ist, man hört es ihrem Gurren förmlich an. »Ty ist hier«, sagt sie gerade. »Der arme Kerl, er sieht so erschöpft aus. Er ist oben bei den

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