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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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auf die kalten Bodenfliesen. Ich drehe den Kopf weg. »Ty«, sagt sie. »Du weißt ja, dass ich fast vierzig Jahre Lehrerin gewesen bin. Es gibt nicht sehr viel, was ich über Jugendliche in deinem Alter nicht weiß.«
    Ich ziehe die Schultern hoch. Eigentlich bin ich überhaupt nicht in der Stimmung, um über Matheprüfungen zu reden.
    »Trotzdem haben mir meine Erfahrungen nicht weitergeholfen, als ich meinen eigenen Sohn aufgezogen habe«, redet sie weiter. Dazu kann ich nichts sagen. Ich zähle die zusammengelegten Handtücher in dem Stapel neben mir.
    »Ich erinnere mich noch an Nicki, als sie dreizehn war«, sagt Helen. »Sie saß in der letzten Reihe und tat so, als würde sie nicht zuhören, aber bei den Klassenarbeiten schrieb sie immer die besten Noten. Sie war so voller Energie und rebellierte gegen jede erdenkliche Regel.«
    Es dauert ein paar Sekunden, aber dann hab ich’s geschnallt. »Du meinst … du hast meine Mum unterrichtet? Sie hat gesagt … ich dachte … an ihrer Schule seien nur Nonnen gewesen?« Vielleicht war Helen ja früher Nonne … aber nein, das kann ich mir absolut nicht vorstellen.
    »Ach was«, sagt sie. »Bestimmte Fächer wurden von Lehrern unterrichtet, die von außerhalb kamen. Julie hat alle ihre Mädchen an meine Schule geschickt, obwohl es nicht unbedingt die nächstgelegene war. Wo wir gerade davon reden: Julie habe ich auch unterrichtet. Ich hatte gerade mein Examen gemacht und sie war in meiner Klasse. Ich war ihre Klassenlehrerin. So haben wir uns kennengelernt. Als sie von der Schule abging, habe ich jemanden gesucht, der sich um mein erstes Baby kümmert, und so kam es, dass sie für mich gearbeitet hat.«
    »Ach so«, stammele ich. »Puh!« Das ist ja total abgefahren.Wie kann eine Großmutter eine andere unterrichten? Plötzlich kommt mir Mr Lomax in den Sinn, mein Mathelehrer auf der St. Saviours, der total widerlich war. Ich muss ein nervöses Lachen unterdrücken.
    »Nicki war eine absolute Überfliegerin. Und obendrein noch eine ausgezeichnete Sportlerin. Ich glaube, mir ist noch nie jemand untergekommen, der derartig ehrgeizig war.«
    »Aha.« Jetzt bin ich neugierig, obwohl ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.
    »Als dann Mick – das war dein Großvater, Ty – krank wurde, war es für die ganze Familie nicht sehr einfach. Er hatte Krebs und konnte nicht mehr arbeiten. Julie war verzweifelt. Sie hat versucht, irgendwo Geld zu verdienen und sich gleichzeitig um ihn und um die Mädchen zu kümmern.«
    Er war mein Opa, denke ich, nicht mein Großvater. Außerdem habe ich ihn nie kennengelernt, aber sie schon, und das ist irgendwie unfair.
    »Nicki ist ein bisschen aus dem Tritt gekommen. Sie hatte ständig irgendwelchen Ärger. Die Nonnen hielten sie für einen schlechten Einfluss auf die anderen. Schließlich forderten sie Julie auf, Nickie an eine andere Schule zu bringen. Ich habe alles versucht und mich für sie eingesetzt, aber es half nichts. Julie war furchtbar wütend. Es kam halt alles zur falschen Zeit. Mick ist ungefähr einen Monat später gestorben.«
    Meine Mum ist aus der Schule geflogen? Das habe ich nicht gewusst. Wenn die Leute sagten, sie hätte Schwierigkeitengehabt, dachte ich immer, ich sei damals der Grund dafür gewesen.
    »Wir sind zur Beerdigung gegangen. Es war schrecklich … Drei junge Mädchen ohne Vater, die arme Julie völlig in Tränen aufgelöst. Wir sind zum Leichenschmaus wieder zurück in die Wohnung. Es war so traurig für Julie. Noch keine vierzig und schon Witwe.«
    »Oh.«
    »Ein paar Monate darauf kam Danny nicht nach Hause.«
    »Wieso?«
    »Das wussten wir nicht. Wir haben uns große Sorgen gemacht. Wir haben alle seine Freunde angerufen. Danny hatte viele Freunde, Mädchen und Jungen. Besonders Mädchen. Ständig rief jemand für ihn an. Aber niemand wusste, wo er war.«
    »Und er war … er war bei meiner Mum?«
    »Nein. Ich habe Louise angerufen. Sie sagte mir, sie habe ihn seit der Beerdigung ihres Vaters nicht mehr gesehen. Ich war erstaunt darüber, und sehr besorgt. Es sah Danny überhaupt nicht ähnlich, einfach so allein durch die Gegend zu ziehen.«
    »Ach.« Die Tür knarrt und geht ein Stück auf. Wir sehen beide auf, und da kommt Meg herein, wedelt mit dem Schwanz und grinst mich an. Dann rollt sie sich mit einem tiefen Hundseufzen auf meinen Füßen zusammen. Es wäre schön, wenn Meg bei mir wohnen würde.
    »Dann kam ein Anruf aus Whittington. Aus dem Krankenhaus in Whittington. Danny war im

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