Die letzte Aussage
Wahrheit.«
Mein Dad geht in die Hocke und setzt sich ebenfalls auf den Boden. Es ist auch so schon ziemlich voll in dem kleinen Raum, seine langen Beine haben nirgendwo Platz. Er schiebt Megs Hintern zur Seite, um besser sitzen zu können. Sie bewegt sich im Schlaf, knurrt leise und streckt sich dann noch genüsslicher aus, wodurch ihm noch weniger Platz als vorher bleibt.
Ich könnte wohl ein Stück rutschen, aber dann würde ich buchstäblich auf Helens Schoß sitzen. Also lasse ich es bleiben.
»Schon gut, Ma. Bleib hier. Mir ist es egal, wer das hört.«
Einen Augenblick denke ich daran, den Kopf in einem Handtuch zu verbergen und mich vor ihm und ihr und der Wahrheit und allem, was damit zu tun hat, zu verstecken.Ich habe genug neue Probleme in meinem Leben, ich muss nicht unbedingt auch noch die alten ausgraben.
»Ty«, sagt er. »Am Anfang hat alles sehr gut funktioniert. Wir haben das Ganze als großes Abenteuer gesehen. Wir wollten unabhängig sein und uns allein um dich kümmern. Du warst toll – jeden Tag hast du etwas Neues, etwas anderes gemacht. Es war schön. Eine sehr gute Idee.«
Er sieht Helen an und ich glaube ihm sofort nur noch die Hälfte davon. Ich merke sofort, wenn jemand seiner Mutter weismachen will, dass alles total super gewesen ist. Ich mache so was ja selbst ständig.
»Ich habe versucht, das Studium und die neuen Freunde an der Uni, den Job – ich habe in einer Kneipe gearbeitet – und die Situation mit Nicki und dir unter einen Hut zu bringen. Es war nicht immer einfach. Nicki war viel allein und konnte kein College mit Kinderbetreuung finden, deshalb hat sie sich ein bisschen gelangweilt. An Weihnachten sind wir nach Hause gefahren und haben einander sehr vermisst. Ich bin am Weihnachtsabend zur Wohnung ihrer Mutter rüber und Julie wollte mich einfach nicht dort haben. Wir waren richtig froh, als wir wieder nach Manchester fahren konnten.«
Jetzt sieht er mir in die Augen. Ich will nicht wieder in seinen Bann geraten, will die Dinge nicht wieder mit seinen Augen sehen und ihm alles glauben, was er sagt. Ich muss einen gewissen Abstand von ihm wahren. Deshalb konzentriere ich mich auf die Bodenfliesen, die groß und rot sind und die jemand an den Ecken zerschneiden musste, damit sie hineinpassen.
»Aber dann … ich weiß auch nicht … lief es plötzlich irgendwie schief. Nicki … hat sich eingebildet, dass ich … dass ich sie nicht mehr so richtig mochte. Sie wurde eifersüchtig. Sie dachte, es liege an ihr, dass sie nicht mehr attraktiv sei. Sie hielt sich für dick und fing mit einer Diät an.«
Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass er mir nicht alles erzählt. Ich vermute, dass Mum nicht ganz grundlos eifersüchtig war. Außerdem halten sich alle Frauen für zu dick. Sie machen alle Diät. Es wundert mich, dass er das nicht weiß, mit seiner vielen Erfahrung und seiner ménage à trois und seinen berühmten Freunden.
Archie streckt den Kopf herein. Als er uns alle auf dem Boden sitzen sieht, fallen ihm fast die Augen aus dem Kopf. »Was ist denn hier los?«, fragt er. »Ich hab Hunger, Gran.«
»Zisch ab, Archie.« Mein Dad und ich sagen es gleichzeitig. Er grinst mich an. Ich drehe den Kopf weg.
»Ich komme gleich«, sagt Helen. Archie verzieht sich wieder. Sie sieht mich an. »Soll ich immer noch hierbleiben? Vielleicht braucht ihr zwei ein bisschen Zeit ohne mich?«
Ich habe Helen noch nie gebraucht; ich war auch so immer von zu vielen Frauen umgeben gewesen. Aber jetzt will ich, dass sie bleibt.
Deshalb sage ich: »Nein, geh bitte nicht weg«, und sie bleibt da. Ich glaube, meinem Dad wäre es anders lieber gewesen.
»Oh Gott«, sagt er. »Wo war ich stehen geblieben?«
»Du hast gerade erklärt, warum du meine Mum in der Klapsmühle hast einsperren lassen«, sage ich mit aufeinandergepressten Zähnen.
»Sie hat nichts mehr gegessen, Ty. Zuerst habe ich es nicht mal gemerkt. Sie hat immer so getan als ob, hat gesagt, sie hätte schon gegessen, als ich nach Hause kam. Sie ist immer dünner geworden. Ich habe es überhaupt nicht so gemerkt … ich wusste es nicht.«
Ich gähne. Worauf will er hinaus?
»Dann hat sie sich eine Erkältung eingefangen. Sie lag krank im Bett und ich bin nicht zur Uni und nicht zur Arbeit, damit ich mich um euch kümmern kann. Dann wurde es mir klar … dein Zustand … Ich muss blind gewesen sein, habe überhaupt nicht gemerkt, was da vor sich ging. Ich war so dumm.« Er schluckt und unterbricht sich. Jetzt laufen
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