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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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gehen soll – was würde er denn ernstlich dagegen tun wollen? Aber es ist die ganze Aufregung nicht wert. Louise würde mich umbringen.
    »Setz dich«, sagt er und ich gehorche. Ich komme mir vor, als hätte ich ein Halsband mit Leine um. Damit dürfte ich wenigstens nach draußen.
    »Tyler«, sagt er, »du musst dich einfach besser im Griff haben. Hör auf, ständig auf Archie loszugehen, bloß weil du es satthast, dich hier verstecken zu müssen.«
    Warum das denn? »Er geht mir echt auf den Sender«, sage ich. »Er hat überhaupt keine Achtung vor mir. Du solltest vielleicht mal mit ihm reden.«
    »Das werde ich auch tun. Aber eins solltest du wissen: Wenn du mit Gewalt auf ihn reagierst, wirst du immer der Schuldige sein. Es spielt keine Rolle, wer damit angefangen hat oder was vorgefallen ist.«
    Ich muss wieder an den Dreck und das Blut in diesem Park in London denken. Das Messer, mit dem Arron herumgefuchtelt hat, als er auf diesen Jungen, Rio, losgegangenist, um ihn abzuziehen. An das Messer, das Rio aus seiner Arschtasche gezogen hat. Und daran, wie ich mit meinem Messer nach Arron gestochen habe, als er nicht auf mich gehört hat und nicht von Rios Leiche wegrennen wollte.
    Ich kann die Gedanken kaum ertragen. »Lass mich in Ruhe, alter Mann«, murmele ich auf Portugiesisch.
    »Wie bitte? Was?«, sagt er, und dann: »Wer hat dir Portugiesisch beigebracht?« Das hatte ich nun wirklich nicht beabsichtigt.
    »Ähmm … das war nicht Portugiesisch …«, erwidere ich, aber er sagt: »Ich bin zwar ein alter Mann, aber das heißt nicht, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe.«
    »Entschuldigung«, sage ich, »ich wusste nicht, dass du das verstehst.«
    »Natürlich verstehe ich das«, sagt er. »Sprachen sind mein Hobby. Du hast eine hervorragende Aussprache. Sehr sauber.«
    »Eigentlich kann ich nicht sehr viel. Ich hatte nur ein paar Stunden Unterricht, bevor wir aus London wegmussten.«
    »Wird auf St. Saviours jetzt Portugiesisch unterrichtet? Dann hat sich ja einiges verändert, seit Danny die Schule besucht hat.«
    »Nicht auf St. Saviours. Ich habe samstagnachmittags im Tattoo-Laden geputzt, da hat mir Maria, die dort arbeitet, ein paar Sachen beigebracht. Was ich zu dir gesagt habe … das hat Maria immer zu Leon, dem Tätowierer, gesagt.«
    »Wirklich? Ist ja interessant. Ein Putzjob in einem Tattoo-Studio, sagst du? Hast du wenigstens Ermäßigung bekommen?«
    »Nein. Leon meinte, ich bin noch zu jung dafür.« Ich hatte mir schon für meinen achtzehnten Geburtstag eine riesengroße Pythonschlange ausgesucht und ich hätte garantiert einen Preisnachlass gekriegt, jede Wette.
    »Was hat dich dort mehr interessiert – das Portugiesische oder Maria?«
    Das ist ziemlich schlau von ihm. Niemand hat damals mitbekommen, dass ich ziemlich scharf auf Maria war.
    »Beides. Aber in erster Linie die Sprache. Portugiesisch kann ich für das, was ich später mal machen will, sehr gut brauchen.«
    »Und was wäre das … Nein, lass mich raten! Hat es vielleicht etwas mit der brasilianischen Fußballmannschaft zu tun?«
    Er ist wirklich ziemlich schlau. »Nein, aber fast. Ich möchte viel über Sprachen lernen, damit ich später Dolmetscher bei einem Verein in der Ersten Liga sein kann.«
    »Tatsächlich? Sehr schön. Sehr schön. Dann war also dein Portugiesisch mit Maria erst der Anfang?«
    »Nicht ganz, ich hab schon im Laden unter uns Urdu gelernt und ein bisschen Türkisch im Kebab-Laden und Französisch in der Schule.«
    »Aha, Französisch«, sagt er und beugt sich vor. »Wie gefällt dir denn Französisch?« Dann sagt er was auf Französisch. Er hat wirklich eine ausgezeichnete Aussprache.
    »Ganz gut, aber die Lehrer in der Schule sind nicht gerade die allerbesten. Ich würde die Sprache lieber bei jemandem lernen, der wirklich aus dem Land kommt«, antworte ich langsam und vorsichtig, und ich versuche es möglichst gut auf Französisch zu sagen. Sein sonst so abweisendes Gesicht strahlt und er fragt: »Bist du schon oft in Frankreich gewesen?«
    »Ich war noch nie im Ausland«, antworte ich mürrisch. Ich habe Mum immer angebettelt, mit mir im Eurostar nach Paris zu fahren, aber sie hat immer gesagt, für so was hätten wir kein Geld.
    »Du musst unbedingt nach Frankreich«, sagt er, als könnte ich mir einfach so eine Fahrkarte kaufen. Dann wechselt er wieder zu Englisch: »Du erinnerst dich bestimmt nicht mehr daran, aber wir beide unterhalten uns nicht zum ersten Mal auf Französisch. Als du

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