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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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sagen, weil sie mich sonst auf der Stelle umbringt.
    Also frage ich sie: »Wo wohnst du jetzt überhaupt?«, in der Hoffnung, sie wieder auf neutralen Boden zu kriegen.
    »Sie haben uns in einer Wohnung untergebracht. Aber nur übergangsweise.«
    »Was für eine Wohnung? Wo?«
    »In einer Hochhaussiedlung. In Birmingham.« Sie wird schon wieder lauter. »Du musst nicht so ein Gesicht machen, Ty. Wir können nicht alle in schönen großen Häusern wohnen. Außerdem bleiben wir ja nicht lange. Und wir sollten auch nicht vergessen, warum wir dort überhaupt sind.«
    Nein, das sollten wir nicht vergessen.
    »Du hast doch gesagt, dass du nie in einem Wohnblock wohnen willst.«
    »Ich konnte es mir jetzt nicht aussuchen. Wir haben drei Zimmer. Lou teilt sich eins mit Emma und ich mit Oma, und du teilst dir deins mit Darren.«
    »Wer ist Darren?«
    »Ein Polizist.«
    Ich streichle über Megs Fell. Sie leckt mir die Hand. Ich werde auf keinen Fall in einem Hochhaus in Birmingham wohnen. Ich teile mir kein Zimmer mit einem Bullen namens Darren. Ich gehe nirgendwo mit Nicki hin, schon gar nicht, nachdem sie jetzt offensichtlich völlig durchgedreht ist.
    »Los, pack deine Sachen«, sagt sie. »Wir hauen hier so schnell wie möglich ab.«
    »Was ist mit Patrick und Helen? Sie sind richtig nett zu mir gewesen, Nic … richtig nett, sie hätten mich ja gar nicht …« Meine Stimme wird leiser und reißt ab.
    »Ich bring’s ihnen schon bei. Wir schulden ihnen überhaupt nichts. Hol deine Sachen.«
    Mir fällt nichts mehr ein. Ich schleppe mich nach oben und ziehe meine Tasche aus dem Schrank. Es dauert nicht lange, bis ich meine Klamotten reingestopft habe. Dann fange ich an zu husten. Ich huste und huste, es macht mich richtig fertig. Als Archie die Treppe hochgerannt kommt, sitze ich vornübergebeugt mit knallrotem Gesicht auf dem Bett und ringe keuchend um Luft.
    Natürlich liegt der Spast wieder mal völlig falsch.
    »He … heulst du?« Er setzt sich neben mich aufs Bett und legt mir die Hand auf die Schulter.
    »Nein … natürlich nicht.« Ich kriege kaum Luft. »Is nur Husten … sonst nix …«
    »Weißt du was? Da unten geht’s richtig rund! Die schreien sich an und alles«, sagt er und schaut weg, als ich mir das Gesicht mit einem Taschentuch abwische.
    »Echt?«
    »Deine Mum ist reinmarschiert und hat gesagt, dass sie dich mitnimmt, und jetzt droht dein Dad ihr mit irgendwelchen Anwälten. Ist sie immer so?«
    »Sie ist ein bisschen unberechenbar«, antworte ich.
    »Deine Tante hat gesagt, sie hätte im Auto den ganzenWeg hierher rumgepöbelt. Zwei Stunden ohne Pause. Sie hat gesagt: ›Wenn Nicki wütend ist, kommt man mit vernünftigen Argumenten nicht weiter.‹ Stimmt das?«
    Ich nicke. Ich weiß, dass meine Mum Angst hat, mich zu verlieren. Manchmal zeigt sie ihre Liebe auf seltsame Art und Weise. Und das bedeutet, dass ich mich dafür schäme, dass ich mich schäme, und das beschämt mich noch viel mehr.
    »Dein Dad ist fest entschlossen, dass du bei ihm bleibst. Was möchtest du? Willst du mit ihr weggehen?«
    Ich schüttele den Kopf. »Sie ist ein bisschen neben der Spur und richtig sauer auf mich. Und jetzt wohnen sie in einem Hochhaus und ich müsste mein Zimmer mit einem Polizisten teilen.« Diese Babygeschichte lasse ich mal außen vor.
    »Was ist mit deinem Dad?«
    »Keine Ahnung … Archie, das macht mich alles völlig irre im Kopf. Ich weiß nicht, was ich machen soll … Ich will bei keinem von beiden sein …« Ich kriege die Panik und fange wieder an zu husten. Archie klopft mir auf den Rücken.
    »Hör mal«, sagt er. »Hier ist der Laptop. Check mal deine Mails, dazu bist du überhaupt nicht gekommen.«
    Ich logge mich ein und mache die erste Mail von Claire auf. Archie schwirrt irgendwo im Zimmer herum, aber ich konzentriere mich auf den Bildschirm vor mir.
    Die erste Mail lautet: Es war so eigenartig, mit dir zu reden. Manchmal kann ich es kaum glauben, dass wir einander wirklich begegnet sind. Du bist wie jemand aus einem Buch oder einemFilm, ein Held, der mich gerettet hat. Wenn wir doch nur zusammen sein könnten.
    In der zweiten geht es fast nur um eine Erdkundeexkursion mit der Schule – Fossilien! –, und dass es schön wäre, wenn ich mitkommen könnte, und dass es bestimmt sehr lustig wird, aber dass es noch schöner wäre, wenn ich mit dabei wäre. Ich werfe einen Blick aufs Datum. Sie müsste jetzt dort sein.
    In der letzten Mail steht: Es ist schrecklich, dass du dich manchmal

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