Die letzte Aussage
dem Schluss gekommen ist, dass ich ein verlogener, gewalttätiger Schläger bin.
Er bedeutet, dass sie mir nie mehr vertrauen kann, mich nicht mehr lieben kann und mir nicht verzeihen kann.
Er bedeutet …
»Kommt jetzt«, sagt Mr Hunt und sie entfernen sich von mir. Claire dreht sich noch einmal um, wird aber von ihren Freundinnen weitergezogen. Carl lässt mich los und sagt: »Tut mir leid, Kumpel. Ich musste hundertprozent sicher sein, dass du es bist. Was hast du überhaupt mit ihr gemacht? Es hat schon ziemlich heftig ausgesehen.«
»Carl, sag ihr, dass ich mit ihr reden muss … sag ihr … sag ihr, dass ich sie liebe.«
Er glotzt mich an und ich weiß, dass ich mir den untauglichsten Boten überhaupt ausgesucht habe. Aber vielleicht ist er meine letzte Chance, überhaupt noch mal mit Claire in Kontakt zu kommen, oder wie Gran es ausdrücken würde: In der Not frisst der Teufel Fliegen. Nachdemich hier mit 50 Pence in der Tasche nass und dreckig auf dem Boden liege, ohne Handy und ohne zu wissen, wie diese Herberge heißt oder wo sie ist, kommt mir die Bitte an Carl wie die einzige Möglichkeit vor.
Ich kann nicht mal mehr aufstehen. Mein Körper funktioniert nicht mehr. Ich liege da auf dem Bürgersteig und frage mich, was wohl passiert, wenn ich einfach liegen bleibe. Wer mich wohl findet? Was wohl mit mir passieren würde? Vielleicht lasse ich es einfach darauf ankommen. Vielleicht ist es mir sogar völlig egal. Eine jämmerliche Träne kullert aus meinem Auge. Ich blinzele heftig, damit nicht noch mehr kommen. Ich bin es nicht wert, dass man um mich weint.
Dann höre ich jemanden näher kommen. Leichte Schritte. Ein Mädchen? Claire? Nein … es ist Zoe. Sie sieht die Enttäuschung in meinem Gesicht und zischt: »Es ist die Tür dort drüben, du Trottel, Nummer 23. Archie wartet auf dich. Zimmer zwölf. Ich rede mit Claire. Bis später.« Sie rennt der kleinen Gruppe meiner ehemaligen Klassenkameraden nach, die sich rasch entfernt. Mr Hunt fragt Claire aus. Er scheint überhaupt nicht gemerkt zu haben, dass Zoe zu mir zurückgelaufen ist.
Ich bleibe noch ein bisschen länger liegen. Am liebsten wäre mir, wenn jemand kommen und mir aufhelfen, mich mit nach drinnen nehmen und sich um mich kümmern würde. Ich schließe die Augen und frage mich, ob es möglich ist, so zu schlafen. Dann stößt etwas gegen meinen Kopf. Ich blicke nach oben.
Ein Polizist. Einer seiner glänzenden Stiefel befindetsich direkt neben meinem Kopf. Er riecht nach Leder und Schuhcreme. Ich stinke nach Schweiß und Hundekacke.
Der Polizist sieht nicht besonders fürsorglich aus. »Zu viel getrunken?«, will er wissen.
Ich stütze mich mit Mühe wieder auf die Ellbogen und schüttele den Kopf. Ich habe mich verirrt … denke ich, ich bin verloren … Aber es hat keinen Sinn, es laut auszusprechen. Er kann mir nicht helfen. Mein Leben ist viel zu kompliziert.
»Dann verzieh dich«, sagt er. »Hier wird nicht auf der Straße herumgelungert.«
»Alles klar«, erwidere ich und komme mit einer übermenschlichen Anstrengung auf die Beine. Ich sehe mich um und entdecke die Tür mit der Nummer 23. Die Jugendherberge. Ich gehe darauf zu und der Polizist schlendert davon. Ich drücke die Tür auf und ein Schwall warmer Luft kommt mir entgegen.
Zimmer zwölf, hat Zoe gesagt … Am Empfang sitzt eine Frau, und als ich an ihr vorbeigehe, rümpft sie die Nase. »Wo willst du hin?«, fragt sie, und ich antworte: »Ich gehöre zu der Gruppe aus Parkview«, und sie sagt: »Ach so, alles klar, dann kennst du dich ja aus«, und zeigt die Treppe hinauf. Ich brauche eine halbe Ewigkeit, bis ich oben bin, und muss unterwegs sogar anhalten, weil ich einen Hustenanfall kriege. Als ich endlich in dem schlecht beleuchteten Flur ankomme, ist mir schwindelig und ich schwitze und mein Knöchel pocht wie bescheuert. Niemand würde mir glauben, dass ich eigentlich ein vielversprechenderSportler bin. Ich bin froh, dass ich Mr Henderson nicht in die Arme gelaufen bin, und hoffe, dass ich ihm auch morgen früh aus dem Weg gehen kann.
Ich klopfe an die Tür mit der Nummer zwölf und Archie macht sie vorsichtig auf. »Wird ja allmählich Zeit!«, sagt er. »Wo hast du bloß gesteckt?« Und dann: »Was ist das für ein Gestank?«
Das Zimmer ist klein wie eine Zelle. Zwei Einzelbetten mit Metallrahmen, dunkelgrauer Teppich, krankenhausweiße Laken, grelles Deckenlicht. Das Einzige, das nicht nach Gefängnis oder Krankenhaus aussieht, sind die cremefarbenen
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