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Die letzte Aussage

Die letzte Aussage

Titel: Die letzte Aussage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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Leinenvorhänge am Fenster und die hellgrau gestrichene Fensterbank aus Holz, auf die man sich setzen kann. In der Ecke ein Waschbecken, ein schmaler Spiegel, sonst nichts – keine Dusche und keine Toilette, kein Fernseher und kein Wasserkocher. Ich bin im letzten Jahr in einigen Hotels gewesen, nicht unbedingt erstklassigen, aber verglichen mit dem hier waren es wahre Paläste.
    Wenigstens ist es warm und sauber – zumindest gewesen, bis ich hier reingekommen bin.
    Das Fenster steht weit offen, und auf dem Fensterbrett liegt eine brennende Zigarette, die Archie jetzt wieder zwischen die Finger nimmt, sich zurücklehnt und tief inhaliert. Der meiste Rauch weht zum Fenster hinaus, aber ein Hauch bleibt im Zimmer und erinnert mich an meine Mum.
    Ich atme tief ein, zittere leicht und erinnere mich an mein Leben zu Hause, damals, ehe das alles passiert ist.Ich habe Stress wegen ein paar Mathehausaufgaben und sie kommt reingetänzelt, drückt mir einen Kuss auf die Stirn und macht mir vor, wie sie das Lied am Abend beim Karaoke darbieten will. Sie legt den Arm um mich und zeigt mir, wo ich mich bei den Aufgaben verrannt habe, und gibt mir Geld, damit ich unser Abendessen im Kebab-Laden unten hole.
    Auf einmal fehlt sie mir so sehr, dass ich überlege, ob Archie nicht besser Patrick anrufen soll und ihn bitten, dass er mich zu ihr zurückbringt. Ich könnte schon in einem Wohnblock in Birmingham klarkommen. Wo ist das Problem? Dann stelle ich mir vor, wie sie auf mein plötzliches Verschwinden reagiert hat: Du egoistischer kleiner Drecksack. Weißt du, was du mir damit alles angetan hast? Du hättest Alistairs Baby umbringen können … Und schon weiß ich, dass es keinen Weg zurück mehr gibt.
    Ich ziehe meine Kapuzenjacke aus, ehe ich mich aufs Bett fallen lasse. Archie sieht mich entsetzt an. »Uääh … leg das Ding bloß nirgendwo hin … Was ist überhaupt damit passiert?«
    »Ich bin in Hundescheiße gefallen«, sage ich langsam. Der Gedanke an die Keime und Bazillen an meinen Klamotten bringt mich fast zum Kotzen. Hoffentlich habe ich nichts davon in die Haare gekriegt … oder auf die Haut … Ich ziehe mich aus, reiße mir die Klamotten vom Leib, bis ich in Unterhosen dastehe. Dann lasse ich heißes Wasser ins Waschbecken und nehme das dünne Stück Seife und schrubbe so lange Arme und Gesicht ab, bis ich im Spiegel sehe, dass meine Haut ganz rosig glänzt.
    Ich lasse neues Wasser ein und tauche den Kopf hinein, schüttele ihn hin und her und reibe mir Seife in die Haare, um allen Dreck und die krabbelnden Bazillen da herauszukriegen.
    Das kleine Handtuch ist hart, aber ich reibe mich trotzdem damit ab, bis meine Haut brennt und kribbelt.
    Archie gähnt und sagt: »Ich hab einen tierischen Hunger. Ich hab hier die ganze Zeit auf dich gewartet. Ich zieh mal los und kaufe Pommes.«
    »Alles klar«, erwidere ich, und als er weg ist, krame ich einen brandneuen Kapuzenpulli, ein makelloses weißes T-Shirt und andere Jeans aus meiner Tasche. Frisch angezogen setze ich mich auf die Fensterbank, wo ich noch den letzten Rest Zigarettenrauch riechen und mir vorstellen kann, ich sei zu Hause in London.
    Ein kalter Wind weht herein und ich will das Fenster zumachen. Unten auf dem Bürgersteig sehe ich zwei Männer, die sich unterhalten. Ich mache das Fenster noch weiter auf und kann sogar ein paar Fetzen von dem, was sie sagen, verstehen.
    »… kann nicht glauben, dass Sie ihn hier einfach liegen gelassen haben …«, sagt einer von ihnen. »… völlig unverantwortlich …«
    »Jetzt machen Sie aber mal halblang, Geoff«, erwidert der andere. »Was hätte ich denn tun sollen? Ihr seid alle bei Pizza Hut gewesen und ich war für unsere Schüler verantwortlich.«
    Mr Hunt. Verdammt! Das sind Mr Hunt und Mr Henderson. Suchen sie etwa nach mir?
    »Mir ist nicht wohl bei der ganzen Sache«, sagt Mr Henderson. »Was hat er überhaupt hier gewollt? In welcher Verfassung war er denn?«
    »Ich hab’s Ihnen doch gesagt«, gibt Mr Hunt zurück, der so klingt, als wäre er wesentlich glücklicher, wenn er herzhaft in eine Pizza mit Käserand und extra Peperoni beißen könnte. »Aggressiv und frech wie immer. Ich habe ihn zuerst für einen Straßendieb gehalten. Doppelt so groß wie das arme Mädchen, weiß Gott, was er ihr antun wollte …«
    »Sie sagt, er wollte nur mit ihr reden, dass alles ein Missverständnis gewesen sei«, entgegnet Mr Henderson.
    Mr Hunt schnaubt verächtlich. »Hören Sie mal, Geoff, wir haben hier schon

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