Die letzte Aussage
lasse es dabei bewenden. Dann stehen alle um mich herum, klopfen mir auf den Rücken, gießen sich was zu trinken ein und erzählen mir den neuesten Klatsch von der Schule: Die Lehrer, die weg sind, wer mit wem geht, wie es mit Carls Fußballmannschaft so läuft. Ganz großartig. Ich komme mir fast normal vor. Alle sind so gut drauf und so nett zu mir und Jamie erzählt mir Witze und ich lache wie verrückt.
Aber dann sieht mich Carl ganz komisch an und sagt: »Du siehst ziemlich komisch aus. Was hast du mit deinen Haaren gemacht? Hast du Strähnchen drin, du Schwuchtel?«
Natürlich hätte ich einfach darüber lachen, mir durch die Haare streichen und sagen können: »Ja, ich wollte meinen Style ein bisschen verändern, aber es ist wohl in die Hose gegangen.« Ich komme damit klar. Ich kann der Frage ausweichen. Carl ist so dumm, dass er eh so gut wie nichts kapiert.
Ich habe nur keine Lust mehr, immer weiter zu lügen. Dabei verliere ich immer mehr das Gefühl dafür, was eigentlich noch wahr ist.
Deshalb antworte ich: »Nö, ich hab sie schwarz gefärbt.Muss mal wieder neu gemacht werden, die Wurzeln sind rausgewachsen.«
Carl spuckt in seinen Bierbecher, und Brian hört auf, Emilys Nacken zu liebkosen, und sieht mich erschrocken an. Ich ergreife die Gelegenheit, um einen großen Schluck aus der Wodkaflasche zu nehmen. Von Cola muss ich immer so rülpsen.
»Und … äh … was ist mit deinen Augen?«, fragt Brian unsicher. »Haben sie die Farbe geändert? Waren die nicht mal braun?«
Ich überlege kurz, ob ich ihn aufziehen soll. »Mir ist nie aufgefallen, dass du so viel Zeit damit verbracht hast, mir in die Augen zu sehen, mein guter Brian …« Damit wäre er ruhiggestellt. Damit wäre die Sache mit den persönlichen Fragen abgehakt.
Aber ich kriege es nicht fertig, den guten alten Bri aufzuziehen. »Ich trage keine Kontaktlinsen mehr. Mit den Dingern haben meine Augen immer braun ausgesehen.«
Mit einem Mal ist es in dem kleinen Zimmer ganz still. Alle sehen mich an. Sie sehen irgendwie komisch aus, denn alle wollen wissen, was mit mir los ist, aber keiner traut sich zu fragen. Ich fange an zu lachen. »Also echt jetzt, Leute … Stellt euch nicht so an!«, sage ich. »Was ist eigentlich mit Musik, Arch?«
Archie fummelt an seinen iPod-Lautsprechern herum, dann singen Girls Aloud los und niemand glotzt mich mehr an.
Bis auf Zoe. Sie setzt sich neben mich. »Was ist mit dir?«, fragt sie.
Was hat sie vor?
»Wo ist Claire?«, frage ich sie und lege den Arm um sie. Nicht so – bloß freundschaftlich. »Wo ist Claire, Zo? Wo ist Claire? Ich muss … ich muss mit ihr noch über was reden.« Ich merke, dass alles an den Rändern ein bisschen verschwommen wird, und ich bin mir nicht mehr ganz sicher, worüber ich eigentlich so dringend mit ihr reden muss. Aber ich bin sicher, dass es mir wieder einfällt, sobald ich Claire sehe.
Zoe schnieft. »Die erlauben auf gar keinen Fall, dass sie sich mit dir trifft«, sagt sie. »Außerdem bist du, ehrlich gesagt, nicht unbedingt in der Verfassung, dich mit jemandem zu unterhalten, Joe.«
Zoe ist ein nettes Mädchen. Es ist schön, neben ihr zu sitzen, so nah wie jetzt, sie ist so schön warm. Ich lege den Kopf auf ihre Schulter. »Ich muss wirklich mit ihr reden«, sage ich. »Bitte, Zo … hilf mir.«
Sie seufzt und schiebt mich weg. »Du bist völlig durcheinander, Joe«, sagt sie. »Na schön, wenn du es in das Café auf der anderen Straßenseite schaffst, sehe ich mal, was ich machen kann. Aber trink jetzt keinen Wodka mehr, bitte.« Sie holt ihr Handy raus.
Jemand stellt sich direkt vor mich. Ich kneife die Augen zusammen und sehe, dass es Brian ist. Und Emily. Ich hebe die Hand. »Alles klar, Brian?«
Brian sieht total ernst aus, der kleine Scheißer. »Joe, was ist verdammt noch mal los mit dir? Warum bist du abgehauen? Was soll das heißen, du hast dir die Haare gefärbt? Was ist mit dir und Claire?«
Ich bin ein bisschen verwirrt. Jede Frage, jedes Wort jeder einzelnen Frage, scheint eine so lange Geschichte hinter sich herzuziehen … so viel, was es zu erklären gibt … Ich will etwas dazu sagen, aber ich beiße mir auf die Zunge. Mein Mund schnappt auf und zu wie bei einem Goldfisch. Schließlich sage ich ziemlich lahm: »Dassindn Haufn Fragen, Kumpel.«
Brian beugt sich vor. »Wir haben unsere Köpfe für dich hingehalten. Ich und Jamie und Max … und Carl auch … Wir sind für dich eingetreten, wir haben allen gesagt, dass du in Ordnung
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