Die letzte Aussage
er plötzlich zu ihnen gehen und um Hilfe betteln?«
»Er ist überfallen, ausgeraubt und verprügelt worden. Er hatte Angst.«
»Er ist von den anderen verprügelt worden. Von ihren Rivalen. Von den anderen Straßenkriegern. Weil er in ihr Gebiet eingedrungen ist.«
»Ach.«
»Er hat eine Gelegenheit gewittert, mein kleiner Bruder Arron. Hat gedacht, das ist seine große Chance. Die große Chance, Jukes das zu liefern, was er gerne hätte.«
»Oh …?« Ich blicke nicht mehr richtig durch.
»Du hast’s immer noch nicht kapiert, was?«, sagt er und schüttelt den Kopf.
»Äh … nein. Nicht so richtig.«
»Du glaubst immer noch, dein bester Freund Arron hätte sich um dich gekümmert? Dafür gesorgt, dass du auf der Straße in Sicherheit bist?«
»Ähm … ja.«
»Pfft! Arron wusste, dass Jukes dich in seiner Gang haben wollte. Unter seinen Fittichen. Deshalb hat er behauptet, er sei von Fremden überfallen worden. Um dir Angst einzujagen … Er hat dich reingelegt. Hat gedacht, er könnte dich an Jukes ausliefern, so wie Jukes es wollte.«
»Aber warum?« Jetzt flüstere ich auch. Innerlich schreie ich laut: Nein … Arron hätte mich doch nicht angelogen … er hätte mich nie reingelegt … er ist mein Freund …
»Jukes hat dich schon lange auf dem Kieker gehabt«, sagt Nathan. Dann schüttelt er den Kopf. »Ich mache mir selber Vorwürfe. Ich hätte dich irgendwie warnen sollen.«
»Wie meinst du das?«
»Jukes’ alter Herr trinkt im Duke of York «, sagt er und breitet die Hände vor sich aus, als wäre damit alles gesagt.
Das Duke of York ist eine Kneipe ungefähr zehn Häuser von unserer alten Wohnung entfernt. »Es ist so nah«, hat meine Mum immer gesagt, »als würde ich in meinem eigenen Wohnzimmer trinken. Bloß würde ich es nicht so verkommen lassen.« Die Kneipe ist ein großes, dunkles, staubiges altes Schluckspechtloch mit samtbezogenen Stühlen und schwarzer Holzeinrichtung und mit einem neuen Besitzer, der versucht, die Auswirkungen desRauchverbots durch neue Ideen wie Cocktails und Happy Hours, Quizveranstaltungen und Karaoke-Abende auszugleichen. Meine Mum war ein großer Fan der Karaoke-Abende im Duke of York. Meine Mum … meine Mum … Herr im Himmel!
Ich sehe Nathan an und glaube, dass er die Wahrheit sagt.
»Meine Mum ? Geht es dabei um sie?«
»Jukes’ Alter ist ein großer Karaoke-Fan«, sagt Nathan. Dann seufzt er. »Wie alle Typen, die dort im Duke of York trinken. Deine Mutter ist eine Legende, Ty.«
Ich weiß nicht genau, wie er das meint. Ich runzle die Stirn und er sagt: »Es ist allgemein bekannt, dass sie sehr wählerisch ist. Deshalb hat sich Jukes’ Alter nie so richtig getraut. Deshalb ist er auf die Idee gekommen, die Sache über dich laufen zu lassen. Er wollte sie in eine Situation bringen, wo sie ihn um Hilfe bitten muss. Damit du keinen Ärger kriegst.«
»Hat Arron … Hat Arron das gewusst?«
»Aber nein. Arron dachte bloß, dass Jukes dich als Soldat in seiner Gang haben wollte. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal genau, ob Jukes es wusste. Schließlich muss man dabei auch an seine Mum denken … Aber sein Alter, der hat immer ein paar Mädels nebenherlaufen, in Wohnungen, weißt du … Und ich glaube, dass Arron irgendwo in seinem blöden Hirn dachte, dass du ein bisschen härter werden solltest. Ein Mann sein. So wie er sich selbst gesehen hat.«
»Dann war das alles eine Falle? Ich sollte Rio abziehen?«
»Rio …«, sagt Nathan. »Dir ist schon klar, oder, dass Rio in der anderen Gang war? Der war kein Opfer, das zufällig durch diesen Park spaziert ist. Rio sollte ein bisschen erschreckt werden, seine Jungs sollten wissen, wie der Hase läuft. Rache, so was halt. Deshalb sind Jukes und Mikey dort aufgekreuzt. Um sicherzugehen, dass ihr den richtigen Typen erwischt. Ihr zwei seid ihnen schön in die Falle getappt.«
Ich muss schlucken. Das ist alles ein bisschen viel auf einmal. Ich denke an den Tag, an dem Arron und ich Jukes und Mikey getroffen haben. Wir waren gerade aus der U-Bahn gekommen. Ich hatte nur die Französischhausaufgaben im Kopf. Arron hatte in der U-Bahn kaum etwas gesagt, und ich hatte mein Aufgabenheft rausgeholt, damit es nicht so aussah, als würde er mich ignorieren.
Dann sagte er: »Wir treffen noch ein paar Freunde von mir … Jukes … Mikey … du weißt schon.« Und ich habe geantwortet: »Je ne sais pas«, weil ich gar nicht darüber nachgedacht hatte, und er hat gesagt: »Versuch doch einmal, nicht so schwul
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