Die letzte Chance - Final Jeopardy
fanden und aufhielten. Und: Es war wahrscheinlich jemand, den Mercer und ich schon kannten, ein Gewohnheitstäter, ein Sexualverbrecher, der seine Übergriffe mit der gleichen Sprache und den gleichen sexuellen Vorlieben wiederholte, die er früher schon angewandt hatte. Für einen Ersttäter war er viel zu gerissen und professionell, und daher hielten Mercer und ich nach dem Schlüssel, dem kleinen Patzer Ausschau, den er sich schließlich leisten und der uns zu ihm führen würde. In Wirklichkeit freilich beteten wir dabei um einen glücklichen Zufall, denn viel eher würde sich der Fall wohl auf diese Weise lösen lassen.
Laura Wilkie wußte zwar, daß ich keine Anrufe entgegennahm, wenn ich ein Vergewaltigungsopfer befragte, aber ich schärfte ihr noch einmal ein, alles zu notieren, als Mercer wieder auftauchte und Katherine Fryer in mein Büro führte.
Ich verließ meinen Platz hinter dem Schreibtisch, während Mercer uns miteinander bekannt machte, und dann setzten wir uns auf drei Stühle, die einen kleinen Kreis bildeten. Auf diese Weise ließ sich jener Anstrich von Förmlichkeit vermeiden, den ein Schreibtisch zwischen Opfer und Befrager hervorrief, und zugleich kam dies der Intimität zugute, die das Thema dieser Unterredung verlangte. Das funktionierte zwar nicht jedesmal, aber hier hatten wir es mit einem Fall zu tun, bei dem diese Vertrautheit sofort hergestellt werden mußte. Wir hatten keine Zeit, uns höflich aneinander heranzutasten.
Katherine Fryers Nacht war noch schlimmer als meine gewesen, und darum verblüffte mich ihre Beherrschung und scheinbare Ruhe.
»Wissen Sie, warum Sie heute hier sind?« fragte ich sie. »Ich bin sicher, Detective Wallace hat es mir erklärt, aber ich bin nicht sicher, ob ich alles mitbekommen habe. Alle sind so
wunderbar zu mir gewesen, aber ich war stundenlang im Krankenhaus und bin im Moment ein bißchen benommen.«
»Das weiß ich. Ich will Ihnen nur erklären, was nun geschieht. Ich heiße Alexandra Cooper, bin Staatsanwältin und werde mich mit Ihrem Fall befassen. Von heute an stehe ich Ihnen bei, bis Mercer den Täter faßt und wir ihn verurteilen. Ich weiß, daß er ihnen schon jede Menge Fragen gestellt hat, und ich muß die meisten noch einmal stellen. Aber von jetzt an arbeiten wir gemeinsam an dieser Sache, und meine Aufgabe ist es, Sie da durchzubringen, und zwar so angenehm, wie ich kann. Wollen Sie etwas von mir wissen, bevor ich anfange?«
Katherine Fryer verlangte die üblichen Zusicherungen: daß ihr Name nicht in die Zeitung käme und daß ihre Eltern in Pennsylvania nichts von der Vergewaltigung erfahren würden. »Und wenn es zu einem Prozeß kommt - werde ich dann über mein Privatleben ausgefragt, über mein Sexualleben?«
»Nein, Katherine, inzwischen hat es da eine Menge gesetzlicher Verbesserungen und Veränderungen gegeben. Wenn Sie von einem Mann angegriffen wurden, den sie noch nie zuvor gesehen haben, ist Ihre sexuelle Biographie für den Prozeß irrelevant. Eins verspreche ich Ihnen: Hier geht es nicht zu wie in all diesen schrecklichen Fernsehfilmen. Detective Wallace leistet Schwerarbeit - das Schlimmste liegt schon hinter Ihnen. Sobald er den Mann findet und Sie ihn identifizieren, brauchen wir Sie nicht länger als eine Stunde im Zeugenstand.
Lassen Sie mich nur noch einmal die Geschichte mit Ihnen durchgehen, dann können Sie an der Zeichnung mitarbeiten und nach Hause gehen und sich ein wenig ausruhen.«
»Ich kann nicht heimgehen, Miss Cooper. Ich werde mich dort nie wieder sicher fühlen. Ich ziehe zu meiner Schwester nach New Jersey. Mercer wird mit mir zur Wohnung fahren, wo ich ein paar Sachen einpacken will. Ich gebe Ihnen die Telefonnummer meiner Schwester, wo Sie mich erreichen können, bis ich eine neue Bleibe finde.«
So etwas geht wirklich an die Nieren. Da übt eine Frau allein zu Hause ihren Beruf aus und wird das Opfer eines Verbrechens - und dann muß sie ausziehen, weil alles in der Wohnung an diese verheerende Schändung erinnert.
Ich fragte Katherine, was gestern mittag passiert sei, kurz vor ein Uhr, als sie allein in ihrer Küche saß.
»Nun, ich aß gerade, als es an der Tür klingelte. Ich fragte: >Wer ist da?<, und eine Stimme sagte: >Ich bin von Con Edison.< Ich sagte, ich würde niemanden von den Stadtwerken erwarten, ich hätte keine Probleme. Während ich durch den Spion sah, erklärte er mir, sein Chef hätte ihn hergeschickt, weil es in allen hinteren Wohnungen Ärger mit den Gasleitungen
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