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Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)

Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Dämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Connor
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Verstand verloren. Immer wieder trieb er sie bis an die Grenze des Erträglichen. Angst und Sehnsucht verflochten sich in ihr zu solch einem knotigen Gemenge, dass Jenna nicht länger wusste, was sie wollte. Seinen Mund, seine Zähne. Er hätte nichts versprechen sollen, was er nicht einzulösen gedachte. In den Handflächen spürte sie noch immer Wärme, die unter ihrer Haut tobte.
    Das brachte sie auf einen Gedanken.
    Sie zog sich zurück, murmelte etwas über seine Verbände und zügelte ihren Zorn, als sie das Verbandszeug holte. Oh, sie würde ihm nicht wehtun. Er war schon verletzt genug, so voller Narben und Schmerzen. Aber einer Frau standen andere Mittel zu Gebote, um einen Mann bezahlen zu lassen.
    Die Art, wie Mason ihre Rückkehr mit Blicken verfolgte, flößte ihr Hoffnung ein, obwohl sie so tat, als ob sie nichts bemerkte. Sein Auftreten erinnerte an das eines verhungernden Tiers. Aber verzweifelte Geschöpfe konnten einem die Hand am Gelenk abbeißen. Sie musste einfach nur schnell sein.
    Als Mason sein T-Shirt abstreifte, unterdrückte sie den Reflex des Verlangens, das sie beim Anblick seiner dicken Muskeln immer durchfuhr. Sie löste das Klebeband von seiner glatten braunen Haut und entfernte die fleckige Mullschicht mit einer Behutsamkeit, die langer Übung zu verdanken war. Er ließ nicht zu, dass irgendjemand sonst das hier tat. Nicht, dass sie sich darum gerissen hätten! Zuerst hatte sie sich eingeredet, dass es etwas zu bedeuten hätte, aber im Laufe der Wochen war ihr klar geworden, dass sie nur praktisch für ihn war. Nicht mehr als das.
    Wenn er ihr doch nur den kleinsten Hinweis darauf gegeben hätte, dass sie mehr für ihn war als eine Verpflichtung! Aber das tat er nie. So hegte sie einen Groll, von dem sie wusste, dass er kindisch war.
    »Die Wunden heilen gut«, sagte sie leise.
    Sein Rücken wies – abgesehen von den alten – frische, neue Narben auf, silbrig, rosafarben und leicht erhaben. Flüchtig strich sie mit desinfektionsmittelgetränkten Wattebäuschen darüber, aber die Wunden waren schon vor über einer Woche verheilt. Mit der Zeit würden sie nichts als hervortretende Knoten sein, Male, die anzeigten, wo die Haut gewaltsam aufgerissen worden war. Dieses Zeichen von Schwäche musste ihm sauer aufstoßen, bewies es doch, dass er weder unbesiegbar noch unsterblich war. Oder vielleicht bestand das Problem ja gerade darin, dass er wusste, dass er aus Fleisch und Blut war.
    »Freut mich zu hören«, sagte er. »Ich muss in Topform sein, bevor Tauwetter einsetzt.«
    War das alles, woran er je dachte? Es frustrierte sie und machte sie traurig. Sie strich mit den Fingerspitzen über eine purpurfarbene Narbe hoch oben auf seiner linken Schulter. Geballte Anspannung durchlief bei dieser zärtlichen Berührung seine Muskeln. Mason verstand sich einfach nicht auf Weichheit. Da gedachte Jenna anzusetzen, um ihn in die Knie zu zwingen.
    Sie war zu klug, ihn danach zu fragen, wie er zu den älteren Narben gekommen war. Er hätte doch nur abgeblockt, und jetzt hatte sie die halbgeformten geistigen Bilder aus seiner Vergangenheit, die sie durchgehen konnte – Antworten für einen Zeitpunkt, zu dem sie konzentriert genug war, sie zu verstehen. Er hatte ihr diese Bilder nicht aus Vertrauen oder Offenheit geistig entgegengeschleudert, sondern eher zur Strafe für ihre Neugier. Sie musste den echten Mann unter all diesen Verteidigungswällen finden. Er lebte schon zu lange in einer Welt aus Zähnen und Klauen und vergaß deshalb, dass manches freiwillig geteilt werden musste und nicht einfach genommen werden konnte.
    Er musste daran erinnert werden.
    Jenna hatte sich Mason unterlegen gefühlt, seit er sie in den Kofferraum ihres eigenen Autos gestoßen hatte. Er kannte alle Antworten. Er bestimmte Ort und Zeit ihrer Begegnungen. Wenn er nicht lernte, sie zu respektieren, würde er sie nie als gleichberechtigt akzeptieren.
    Sie strich mit der Hand über die nächste Narbe, die sich tief unten auf seinem Rücken befand. Er sog mit einem scharfen Zischen die Luft ein. Vor ihrem geistigen Auge ließ Jenna einen langsamen Walzer sinnlicher Bilder ablaufen. Haut auf Haut. Aufeinandergepresste Münder. Ineinander verstrickte Beine. Sie zeigte ihm eine Version seiner rohen sexuellen Phantasie bei Kerzenschein, seinen Kopf an ihrer Brust, während ihre Hände ihn umschlangen, um ihn dort zu halten.
    Angesichts solch reizvoller Ablenkungen wurde der Riss in seiner Rüstung zu einer klaffenden Spalte.

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