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Die letzte Eskorte: Roman

Die letzte Eskorte: Roman

Titel: Die letzte Eskorte: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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ob er wieder nach unten klettern könnte. Mit Händen und Füßen Halt suchend, spürte Hayden, dass seine Beine unter der Anstrengung zu zittern begannen. Seine Finger verkrampften sich. Doch er besiegte seinen Schreck und tastete mit einem Fuß nach einem Vorsprung im Gestein.
    »Verdammte Insel«, fluchte er, »die wird mich noch umbringen.«
    Endlich fand er einen schmalen Sims, kaum breiter als ein Daumen, und stützte sich ab. Nach und nach ertastete er sich weitere Möglichkeiten, Halt zu finden, und kletterte schnell wieder nach unten.
    Dann ruhte er sich einen Moment lang aus und betrachtete die Felswand. Mit einem Mal glaubte er, eine bessere Möglichkeit für den Aufstieg gefunden zu haben. Mit neuem Mut wagte er sich erneut an den Fels und zog sich bald darauf über die Kante bis ganz nach oben. Dort stieß er auf einen Offizier der Pioniere, die damit beschäftigt waren, den Untergrund für die Batterie zu ebnen. Zumindest dieser Offizier schien es für machbar zu halten, die Kanonen bis ganz nach oben zu ziehen.
    Eine Stunde später holte Hayden den anderen Geschütztross ein – früher, als er gehofft hatte.
    Das Vorwärtskommen auf diesem steinigen Ziegenpfad war eine frustrierende Angelegenheit. Plötzlich erstanden Bilder eines blutigen Gefechts vor seinem geistigen Auge: Die britische Infanterie stürmte die französischen Stellungen und geriet in einen wahren Hagel aus Trauben- und Kettengeschossen. Diese Vorstellung war für Hayden so schrecklich, dass er zusammenzuckte und seine Gedanken von den Bildfetzen wieder auf die Geschütze lenkte, die gleichgültig mit ihrer schieren Masse auf dem festgestampften Pfad lagen.
    Die Wintertage waren kurz, und schon bald sank die Sonne am Horizont in ein Bett aus Wolken und tauchte den Himmel in rote Töne. Fackeln wurden entzündet, die Männer machten sich weiter an die Arbeit. Längere Gespräche wurden immer seltener, und wenn sich die Männer unterhielten, dann nur in angespanntem, fast gereiztem Ton.
    Schließlich, gegen elf Uhr, waren die Leute so erschöpft, dass Hayden die Arbeit abbrach.
    Auf die Männer wartete ein schnell aufgeschlagenes Lager, an dessen Feuern sich die Seeleute in ihre Decken wickelten, während die Korsen Wache hielten. Hayden schlief genauso schnell ein wie seine Leute.
    Spät in der Nacht öffnete er die Augen und sah den Mond hoch am Himmel, teilweise verdeckt von Wolkenbändern, die kein helles Sternenlicht zuließen.
    Die Feuer hatten nur noch wenig Glut, und Hayden fror. Deshalb war er überhaupt wach geworden. Eine Zeit lang blieb er liegen, in der Hoffnung, ein anderer würde sich aufraffen, das Feuer zu schüren. Als sich aber niemand sonst rührte, stand Hayden auf und legte Scheite auf die Kohlenschicht. Dann wärmte er sich an der Glut, umgeben von seinen schlafenden Männern, die in ihren wollenen Decken wie in Kokons eingesponnene Raupen aussahen.
    Das frische Holz begann zu qualmen und fing schließlich zischend Feuer. Hayden harrte noch einen Moment länger aus, um seinen steifen und schmerzenden Körper zu wärmen. Es war lange her, dass er sich körperlich so ausgelaugt gefühlt hatte.
    »Sir?«
    Hayden drehte sich um und sah, dass sich einer der Kokons erhoben hatte und auf ihn zu wankte.
    »Ah, Mr Wickham, habe ich Sie geweckt?«
    »Ich glaube nicht, Sir. Ich habe nicht tief geschlafen.« Der Junge hüllte sich in seine Decke und zog sie sich enger um die Schultern.
    Hayden kannte seinen Midshipman inzwischen gut genug, um die jeweilige Stimmung des jungen Mannes einschätzen zu können. Und in dieser Nacht glaubte Hayden, eine Unsicherheit aus Wickhams Stimme herauszuhören. »Bereitet Ihnen etwas Sorgen, Mr Wickham?«
    Der Junge schwieg eine Weile und trat näher ans Feuer. »Während Ihrer Abwesenheit, Sir, habe ich mich ein paar Mal länger mit General Paoli unterhalten. Ebenso mit Sir Gilbert ...« Wickham schien auf einmal nicht weitersprechen zu wollen.
    »Und diese Gespräche haben Sie beunruhigt?«
    »Ja, Sir, obwohl ich nicht zu sagen vermag, in welcher Weise.« Wieder schwieg er. »Auf lange Sicht sehe ich keinen Erfolg für dieses Unternehmen, Sir.«
    »Sie meinen den Transport der Geschütze?«, hakte Hayden verdutzt nach.
    »Nein, Sir – unsere Präsenz auf Korsika – die britische Präsenz.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Wickham strich sich das Haar aus der Stirn, wobei er die Hand nicht aus der Decke wickelte. »Sir Gilbert ist ein kluger Mann und setzt sich ohne Zweifel mit ganzem Herzen

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