Die letzte Eskorte: Roman
Anstatt Hayden ins Haus zu bitten, schloss der Diener die Tür wieder und ließ einen verblüfften Hayden auf der Treppe stehen.
Einige Augenblicke wartete er, verunsichert und überrascht, wie ein Wildfremder behandelt zu werden, bis der Diener die Haustür wieder öffnete.
»Lady Hertle fühlt sich unpässlich«, teilte ihm der Mann mit, und seine Miene verriet nicht die geringste Gefühlsregung.
»Oh, das tut mir leid«, erwiderte Hayden. »Dürfte ich ihr eine kurze Nachricht hinterlassen?«
»Sie hat Ihre Nachricht heute Morgen erhalten, Kapitän. Ich denke nicht, dass Sie die Dame mit einer weiteren behelligen sollten.«
Hayden war so verdutzt, dass er kaum wusste, was er sagen sollte. Ehe er sich eine Antwort zurechtlegen konnte, hob der Diener erneut an.
»Einen guten Tag noch, Sir«, beschied er Hayden einsilbig und schloss die Tür.
Hayden stand einen Moment lang da, gekränkt und verwirrt, bis ihn ein furchtbarer Schreck erfasste. Lady Hertle hatte sich stets gefreut, ihn zu empfangen, und war seine Verbündete bei seinem Werben um ihre Nichte gewesen. Dass er jetzt so behandelt wurde, ließ manchen beunruhigenden Schluss zu.
Hayden kehrte auf sein Schiff zurück und war nicht mehr in der Lage, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Schlussendlich, nach den bohrenden Fragen eines durchaus besorgten Mr Hawthorne, erzählte er, was geschehen war.
»Sie müssen mit Henrietta sprechen, sofort«, drängte Hawthorne, »um Ihre Befürchtungen abzuschütteln.«
»Ich kann mein Schiff nicht verlassen – einige Tage lang nicht.«
Die beiden Offiziere saßen in der Kajüte, und Hayden war so aufgeregt und verzweifelt, dass er kaum ruhig auf seinem Stuhl sitzen bleiben konnte.
»Wenn ich Sie richtig verstehe, Kapitän«, stellte Hawthorne fest, »ist dies hier gar nicht Ihr Schiff. Archer ist sehr wohl in der Lage, alle erforderlichen Vorbereitungen zu treffen.«
»Ich habe Mr Archer gestattet, seine Familie zu besuchen.«
Hawthorne sprang auf. »Dann lassen Sie mich kurz mit unserem jungen Leutnant sprechen.«
Zehn Minuten später kam der Leutnant der Seesoldaten zurück.
»Alles geregelt. Mr Archer ist einverstanden, den Besuch bei der Familie zu verschieben. Heute Abend fährt noch eine Kutsche nach London. Sie könnten Mittwochmorgen dort sein. Sie hätten jetzt noch zwei Stunden Zeit, um sich auf die Reise vorzubereiten. Kann ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein?«
Kurze Zeit darauf verabschiedete sich Hayden von den verbleibenden Offizieren, die es allesamt geschickt verstanden, ihre eigenen Ängste vor der Zukunft zu verbergen. Hayden hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen und schämte sich. Er war so sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen, dass er darüber seine Kameraden vergessen hatte. Keiner der Offiziere wusste, ob er wieder auf die Themis zurückkehren würde – oder auf irgendein anderes Kriegsschiff.
Mit Schuldgefühlen stieg Hayden in die Kutsche nach London und setzte sich bei wenig verheißungsvollem Wetter neben den Kutscher.
Die Unannehmlichkeiten der Reise in einer rumpelnden Kutsche waren nichts im Vergleich zu Haydens nagenden Ängsten, die er nun durchlebte. Warum hatte Lady Hertle, die ihn zuvor fast wie ihren Neffen willkommen geheißen hatte, ihm so eine Abfuhr erteilt? Zugegeben, er war bei dem Werben um ihre Nichte unentschlossen gewesen, aber das würde die alte Dame ihm doch gewiss nachsehen, oder? Tatsächlich hatte er oft geglaubt, dass gerade Lady Hertle die Gründe für dieses Zögern besser verstand als jeder andere auf der Welt – ja, womöglich hieß sie Haydens Verhalten sogar gut. Und Henrietta hatte mehr als einmal durchblicken lassen, dass sie nicht viel übrig hatte für überhastetes Werben oder unüberlegte Heiratsanträge. Und wenn er sich wirklich nur eine zögerliche Haltung vorzuwerfen hatte, dann verstand er Lady Hertles Verhalten wahrlich nicht.
Ein Sturm mit Regenschauern zwang ihn, das Ölzeug überzuziehen. Die Kälte drang ihm bis auf die Knochen. Bald zitterte er unkontrolliert und litt mehr unter dem Wetter als Wochen zuvor in den kalten Fluten des Atlantiks.
Als die Kutsche die Vororte Londons erreichte, war Hayden, der sechsunddreißig Stunden lang kaum ein Auge zugetan hatte, vollkommen erschöpft, sowohl körperlich als auch geistig. Er wusste in dieser Verfassung kaum, was er als Nächstes tun wollte.
Nun kletterte er von der Kutsche und merkte, dass es noch zu früh
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