Die letzte Eskorte: Roman
auf ein Buch zu konzentrieren versuchte, hörte er Schritte auf der Stiege. Jemand klopfte. Hayden sprang förmlich zur Tür, riss sie auf und sah die Tochter des Wirts im Flur. Sie hielt einen Brief in der Hand.
»Der Brief, auf den Sie warten«, sagte das Mädchen und machte einen Knicks.
Hayden konnte sich gerade noch beherrschen, dem Mädchen den Brief nicht aus der Hand zu reißen, und nahm ihn mit gespielter Gleichgültigkeit in Empfang. Er bedankte sich bei der Tochter des Wirts, schloss sachte die Tür und schlitzte den Brief dann mit den Fingernägeln auf.
Das Schreiben war von Philip Stephens, dem Ersten Sekretär der Navy. Hayden habe sich bei der Admiralität einzufinden – zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Vor dem Backsteingebäude der Admiralität wimmelte es tagsüber nur so von blauen Uniformjacken. Fast immer herrschte Gedränge am Tor der Kutscheinfahrt oder an den anderen Eingängen, sodass sich die Herren Offiziere in Geduld üben mussten oder höflichkeitshalber anderen den Vortritt ließen.
Im Innenhof standen die Offiziere dann oft in kleineren Gruppen zusammen, zumeist dem Rang entsprechend, obwohl nicht immer streng darauf geachtet wurde. Matrosen kamen oder gingen mit Nachrichten, Namen wurden über den Hof gerufen, wenn Seeoffiziere ihre Kameraden erblickten, die sie mitunter jahrelang nicht mehr gesehen hatten.
Haydens Name schallte jedoch nicht über den Innenhof, und wahrscheinlich nahm kaum jemand Notiz von dem Kommandanten der Themis , der den Hof nun überquerte. Der Erste Sekretär hatte ihn so schnell wie möglich sprechen wollen, und daher lehnte sich Hayden an eine der imposanten Säulen und wartete darauf, bei Philip Stephens vorgelassen zu werden.
Als er nach einiger Zeit immer noch nicht aufgerufen wurde, machte sich Unbehagen in Hayden breit – war er denn so unbedeutend, dass man ihn übergangen hatte? Schließlich war er davon überzeugt, man habe ihn schlichtweg vergessen, und war gerade im Begriff, sich erneut im Vorzimmer anzumelden, als er auf wundersame Weise mit Namen aufgerufen wurde.
Schnell schloss er sich dem Strom von kommenden und gehenden Offizieren auf der steinernen Treppe an. Tatsächlich rief ihm in dem Gedränge jemand etwas zu, worauf Hayden aus Höflichkeit die Hand zum Gruß erhob, obwohl er gar nicht wusste, wer da seinen Namen gerufen haben mochte. Kurz darauf betrat Hayden mit pochendem Herzen den Raum von Philip Stephens, dem Ersten Sekretär der Admiralität.
Seit der letzten Begegnung, einige Tage vor dem inzwischen berüchtigten Kriegsgericht für die Offiziere der Themis , hatte sich Stephens kaum verändert. Nach wie vor zogen sich die roten Äderchen über seine Knollennase. Die Augengläser, die leicht schief saßen, fassten das schmale Gesicht des Sekretärs ein. Philip Stephens verließ kurz seinen Platz hinter dem Schreibtisch, um Hayden zu begrüßen, und kehrte dann wieder zu seinem Stuhl zurück. Dann bedeutete er Hayden, sich zu setzen, nahm die Brille ab und bedachte seinen Besucher mit eben dem ausdruckslosen Blick, an den sich Hayden noch gut erinnerte. Ein Braten würde mit mehr Gefühl tranchiert.
»Geht es Ihnen gut, Kapitän Hayden?«
»Ja, Sir, danke. Ich hoffe, Ihnen auch.«
Der Erste Sekretär ging darauf nur mit einem kurzen, gleichgültigen Achselzucken ein. »Wie ich hörte, sind Sie in einen Rechtsstreit verwickelt?«
Hayden wunderte sich, dass Stephens darüber bereits unterrichtet war. Hatte der Fall denn schon so schnell die Runde gemacht?
»Leider, doch ein angesehener Anwalt versicherte mir, dass ich für nichts zur Verantwortung gezogen werden kann.«
»Nun, es hat nichts mit der Navy zu tun. Ich hoffe, dass die Sache gut für Sie ausgeht. Derartige Angelegenheiten sind stets unangenehm und rauben uns den nötigen Schlaf.« Stephens holte ein Leinentuch hervor und begann mit dem Ritual, seine Augengläser zu putzen. »Ich hoffe doch sehr, dass sich Ihr Anwalt des Falles allein annimmt. Denn ich habe bereits alles in die Wege geleitet, dass Sie wieder in See stechen können ...«, er hielt in seinen Bewegungen inne, »... und zwar unverzüglich.«
»Aber ich kann doch jetzt unmöglich England verlassen!«, platzte Hayden heraus. »Gewisse Angelegenheiten bedürfen meiner Aufmerksamkeit.«
»Und warum, wenn ich fragen darf?« Die Mundwinkel des Sekretärs wanderten ein wenig nach unten.
»Es geht um den Rechtsstreit, den Sie erwähnten. Nun, nicht nur darum, ehrlich gesagt, aber die Sache hat
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