Die letzte Flucht
Zeichen, dass er zuerst eintreten könne. Der Mechaniker dankte mit einem Kopfnicken und betrat den Aufzug. Dengler blieb davor stehen. Er lächelte dem Mechaniker zu. Er sah in dessen Gesicht, wie er nachdachte. Hochkonzentriert. Sollte er den Aufzug schnell wieder verlassen und damit seine Tarnung aufgeben? Noch während er überlegte, schloss sich die Aufzugstür.
Dengler öffnete die Tür zum Treppenhaus und rannte die Stufen nach unten.
***
Dr. Lehmann reichte Finn Kommareck die Hand.
»Warten wir also«, sagte er.
Finn Kommareck nickte.
Sie setzten sich auf eine Besucherbank und schwiegen.
***
Als Bernhard Voss die drei silbernen Rohrleitungen sah, wusste er, dass er auf dem richtigen Weg war. Er folgte ihrem Verlauf, und kurz danach fand er das Versteck. Er griff zwischen die Rohre, und tatsächlich: Da waren die beiden Mappen. Vielleicht würde dies alles erklären. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass sich doch alles wieder zum Guten wenden könne. Er fühlte eine Kraft in sich aufsteigen wie schon lange nicht mehr. In diesem Augenblick traf ihn ein Schlag auf den Hinterkopf. Er stürzte vornüber, prallte mit dem Gesicht auf eines der Rohre. Ein zweiter Schlag traf ihn.
***
»Wir haben Dengler verloren«, meldete Maria Marksteiner über den Kopfhörer und berichtete, wie der Privatdetektiv seinen Bewacher abserviert hatte. Finn Kommareck fluchte.
***
Dengler ging den Rohren nach. Und blieb stehen – da vorne, im Halbdunkel einer rechtwinkligen Abzweigung des Ganges, lag etwas am Boden. Georg spürte instinktiv, dassda etwas lag, was da nicht hingehörte, etwas, was schon von ferne erkennbar eine unnatürliche Position einnahm – und Georg eilte heran, und er erblickte, je mehr die Perspektive der Eckbiegung des Ganges durch die Annäherung sich öffnete und die Lichtverhältnisse besser wurden und seine Ahnung sich zur Gewissheit verdichtete, ein Paar Schuhe, Schuhe an Füßen, die zu Beinen gehörten, Beine, die zu einer Gestalt gehörten, die da vor ihm am Boden lag.
Bernhard Voss war tot. Dengler fühlte die Schlagader am Hals. Voss war noch warm, aber es war kein Leben mehr in ihm. Der Hinterkopf wies zwei schwere Schlagverletzungen auf. Er sah sich um. Keine roten Aktenmappen zu sehen.
Sein Auftrag war beendet.
Vorsichtig zog er sich zurück. Es war besser, wenn er verschwand.
Über die Treppe gelangte er zu einem Nebenflügel. Durch einen Seitenausgang verließ er die Charité. Er sah die Beamten, die jeden, der das Krankenhaus verließ, genau musterten. Doch er brauchte sich keine Sorgen zu machen. Sie suchten Voss. Vom Bahnhof aus wählte er den Notruf und meldete mit verstellter Stimme den Fundort der Leiche. Dann rief er Olga an. Eine Stunde später stiegen sie in den ICE in Richtung Süden.
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44. Schmerz
Das Lagezentrum informierte Finn Kommareck über die anonyme Mitteilung. Sie sprang auf und winkte ihrem Team. Sie rannten, so schnell sie konnten, die schmale Straße hinauf zum Hufeland-Haus und stürmten die Treppen hinunter in den Keller. Sie schwärmten durch die verschiedenen Gänge und Wege aus. Maria Marksteiner lief den Gang mit den silbernen Rohren entlang. Sie fand den Toten.
Bernhard Voss lag auf dem Bauch, beide Arme lagen fast parallel zum Körper. Er hatte also nicht einmal mehr Zeit gehabt, beim Sturz den Kopf mit den Händen zu schützen. Die beiden Wunden am Hinterkopf waren gut zu sehen. Dunkles, trägflüssiges Blut markierte sie deutlich genug.
Der Rest des Tages war Routine. Sie hatten bis in die Nacht zu tun. Mit dem Auffinden der Leiche startete gleichzeitig der sogenannte »Erste Angriff« am Tatort. Absperrungen wurden errichtet, die Wege wurden nach Beweismitteln abgesucht, ein Zugang zum Tatort wurde festgelegt, um zu verhindern, dass vorhandene Spuren verfälscht oder gar vernichtet wurden oder durch eigene Spuren ersetzt beziehungsweise vermischt wurden. Die Spurensicherung führte den »Auswertungsangriff« durch; Schöttle erstellte den Tatortbefundsbericht.
***
Noch in der Nacht trafen sie sich zu einer ersten Auswertung.
»Wir haben weder Tatwaffe noch sonstige wesentliche Spuren. Voss wurde durch zwei mit großer Kraft ausgeführte Schläge auf den Hinterkopf getötet. Der erste Schlag wurde in einem Winkel …«
»Genau wie Jasmin Berner«, sagte Maria.
Finn stand auf.
»Genauso«, sagte sie.
In diesem Augenblick überfiel sie ein nie da gewesener Schmerz. Es war ein stechender, ein heller Schmerz von ungewöhnlicher
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