Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
kann. Jetzt lassen sie die Weißen in ihren versinkenden Städten zurück.«
Gary stellte die Frage, die jeder Klimatologe immer wieder stellte: »Und wenn das Meer weiter steigt?«
Sanjay zuckte erneut mit den Achseln. »Dann sind die Aborigines im Arsch. Aber das sind wir letztendlich alle.«
Das Schiff hatte die Meerenge zwischen den steilen Felswänden
von Kandilli und Kanlica erreicht, die noch immer hoch übers Wasser aufragten.
»Und warum machst du weiter, Sanj? Wie geht’s deiner Familie? Deinen Kindern?«
»Die sind mit ihren Müttern bei meiner Schwester Narinder und deren Familie - in einem Dorf in den schottischen Highlands, nicht weit von Fort William. Da oben sind sie in Sicherheit. Aber es kann sein, dass sie da wegmüssen. Nach dem Tsunami ist die britische Zentralregierung praktisch zusammengebrochen, sie kann nur noch Evakuierungen und Nothilfemaßnahmen organisieren. In den Highlands bilden sich wieder die alten Clans heraus. Unser Vater hat uns einen Stammbaum hinterlassen, der bis in die Zeiten vor Bonnie Prince Charlie zurückreicht. Wir haben also Gefolgschaftspflichten.«
»Willst du denn nicht bei ihnen bleiben?«
»Irgendwann vielleicht, wenn es schlimm genug wird. Momentan hält mich die Wissenschaft noch voll auf Trab. Wir müssen weitermachen. Was sollen wir sonst tun?« Sanjay blickte hinauf in den praktisch smogfreien Himmel. Er nahm seinen Mundschutz ab und sog die frische Luft ein.
42
Nachdem sie die Meerenge passiert hatten, folgte die Links der Schwarzmeerküste bis zum Ostufer. In der Nähe der Grenze zwischen Russland und Georgien ging sie über einem versunkenen Seebad namens Sotschi vor Anker.
Hier gab es keinen funktionierenden Hafen. Boote mit flachem Kiel mussten die Wissenschaftler zu einer Art Pier bringen, den man provisorisch auf einer von Norden nach Süden verlaufenden Hauptstraße namens Kurortny Prospekt errichtet hatte. Außer der Schiffsbesatzung war niemand da, der ihnen beim Ausschiffen half, und sie mussten ihr Gepäck und ihre Ausrüstung selbst schleppen. An Land warteten jedoch von Woods Hole angemietete Lastwagen auf sie. Gary fragte sich, wie viel die fernen Finanzverwalter von Woods Hole für den Treibstoff bezahlt hatten.
Die noch oberhalb der Wasserlinie liegenden Teile Sotschis schienen weitgehend verlassen zu sein, die Geschäfte und Wirtshäuser waren geschlossen oder ausgebrannt, und man sah nur wenige Menschen. Eine junge Russin namens Elena Artemowa, abgestellt vom Schirschow-Institut für Ozeanologie, zeigte düster auf die Berge, die über der Küste aufragten. »Jeder vernünftige Mensch ist in die Bergdörfer gegangen«, sagte sie. »Und da müssen wir auch hin, für die Nacht.«
Die Lastwagen brachten die Wissenschaftler und ihre
Ausrüstung in die Berge zu einem Dorf namens Krasnaya Polyana - früher einmal ein Lieblingsort von Präsident Putin, wie der ledrige, Tabak kauende Fahrer sie trübsinnig informierte. Die Fahrt war spektakulär, aber ziemlich furchteinflößend; die Straße schlängelte sich auf Simsen entlang, die in die Wände steiler Bergschluchten gehauen waren. Während sie immer höher hinauffuhren, sah Gary deutlich, in welchem Ausmaß die Badeorte an der Küste überflutet worden waren - ihre Strände waren im Wasser versunken - und wie tief das Meer in die von Koniferen gesäumten Flusstäler vorgedrungen war.
Dies war der Kaukasus, der sich über den Süden der russischen Föderation erstreckte, begrenzt vom Schwarzen und Asowschen Meer im Westen und vom Kaspischen Meer im Osten. Gary hatte sich eingehend mit der lokalen Topografie beschäftigt. Es war ein vielgestaltiges Land; der Norden wurde von Steppe beherrscht, der Süden von Bergen, die bis vor sehr kurzer Zeit noch schneebedeckt gewesen waren. Am interessantesten für die Klimatologen war jener nördliche Steppenstreifen, der sich von Rostow am Don bis nach Grosny erstreckte, großenteils eine Wiese mit Wildblumenteppichen und mit Binsen gefüllte Flusstäler. Es war der niedrigste Teil dieser Landzunge, die das Schwarze Meer vom landumschlossenen Kaspischen Meer trennte. Und wenn das steigende Schwarze Meer seine Grenzen durchbrach, würde das Wasser dort über die Steppe fließen.
In Krasnaya Polyana wurden sie zu einer Anlage gebracht, bei der es sich um prächtige ehemalige Datschen zu handeln schien, eine Ansammlung einstöckiger Gebäude unter einem Baldachin aus Fichten. Die Lastwagen parkten für die Nacht,
und die Fahrer verschwanden in
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