Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Beweis. Die Dinge ändern sich zu schnell, wir sind zu wenige und müssen zu vieles beobachten und überwachen. Ich habe das Gefühl, dass wir es nie genau wissen werden. Aber spielt das wirklich eine Rolle? Wir müssen mit den Symptomen dieser globalen Krankheit fertigwerden, ob wir die Ursachen verstehen oder nicht.«
»Ganz recht.« Lone Elk legte die Fingerspitzen aneinander. Leiser fuhr er fort: »Ich verfüge über gewisse vertrauliche Informationen der Regierung. Man hat mir gesagt, der Anstieg des mittleren Meeresspiegels betrage jetzt ungefähr zweihundert Meter.«
»Das kommt so ziemlich hin.«
»Was wird dann aus der Welt, Thandie Jones? Erzählen Sie mir, was Sie gesehen haben.«
Sie nickte und klappte einen Laptop auf.
Der gesamte Weltatlas hatte sich verändert.
In Südamerika hatte das Hochwasser große Stücke der vertrauten Kegelform des Kontinents verschlungen. Das Amazonasbecken war in ein Binnenmeer verwandelt worden, das gegen die Ausläufer der Anden anrollte. Im Norden waren das Tiefland von Venezuela und Kolumbien verschwunden, und im Süden schob sich ein weiteres mächtiges Meer vom Mündungsgebiet des Rio de la Plata landeinwärts vor, überflutete Uruguay, Paraguay und das westliche Argentinien und drohte das Rückgrat der Anden vom brasilianischen Hochland zu trennen.
Da West- und Nordafrika überschwemmt waren, flohen die Menschen in die höher gelegenen Gebiete des Südens.
Pretoria gewann allmählich eine regionale Vormachtstellung.
Australien war bis auf Hochlagen im Westen des Kontinents und eine Gebirgskette verloren.
In Europa wurden weiterhin riesige Völkerscharen vom nördlichen Flachland vertrieben; sie strömten auf hoch gelegenes Gelände im Süden und Norden, in Spanien, den Mittelmeerländern, den Alpen und Skandinavien. Die Europäische Union funktionierte noch, wenn auch nur mit knapper Not; sie hatte ihre Zentrale nach Madrid verlegt und versuchte, mit einer nicht enden wollenden Krise fertigzuwerden, die von Flüchtlingsströmen, Krankheiten und Mangel an Nahrungsmitteln, Land und Wasser geprägt wurde.
»Aber der wahre Kampfplatz ist Eurasien«, sagte Thandie. »Wir haben kaum Daten aus Feldbeobachtungen gewinnen können, unsere besten Informationen stammen von den verbliebenen Satelliten. Wir wissen, dass der europäische Teil Russlands verschwunden ist. Das Hochwasser erstreckt sich vom Baltikum bis tief nach Sibirien hinein, ausgenommen ist nur der Ural. Deshalb hat es eine Völkerwanderung nach Osten und Süden gegeben, nach Kasachstan und in die Mongolei. Zugleich ist das chinesische Tiefland östlich von Peking, Kaifeng und Changsha überflutet, und auch aus dieser Richtung sind Flüchtlinge gekommen. Russen und Chinesen stehen sich in der Mongolei gegenüber. Ich glaube nicht, dass jemand weiß, was dort vorgeht - nicht einmal die jeweiligen Regierungen, sofern sie überhaupt noch funktionsfähig sind. Alles in allem sprechen die Zahlen für sich. Bisher haben wir nur rund zwanzig Prozent der ehemaligen trockenen
Landfläche verloren, aber dort war weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung zu Hause.«
Lone Elk nickte. »Und Nordamerika?«
Thandie rief weitere Karten auf. »Im Westen sind die Küstengebiete verloren, und das Meer ist über die San Francisco Bay ins Sacramento Valley vorgedrungen. Aber die eigentlichen Schäden hat es im Osten gegeben. Schauen Sie sich die Karte an. Wie Sie sehen, haben wir einen Streifen Land verloren, der sich vom Golf und den Atlantikküsten landeinwärts erstreckt und Louisiana, Arkansas bis nach Little Rock im Norden sowie Mississippi, Alabama und Georgia bis nach Atlanta im Norden umfasst. Florida ist natürlich ebenfalls untergegangen.«
»Über Florida weiß ich Bescheid.«
»North und South Carolina sind westlich bis zu einer Linie verschwunden, die durch Charlotte verläuft. Die Ostküste steht vollständig unter Wasser, Virginia, Washington D.C., Baltimore, Philadelphia, New York, alles verloren. Das Meer dringt jetzt im Mississippi-Becken über Saint Louis hinaus vor, Chicago wird ziemlich bald von Süden und von Norden her bedroht sein, wo die Großen Seen steigen, und ein neuer Seeweg wird das Land in zwei Teile spalten.«
Dennoch kam Amerika bisher noch relativ gut über die Runden. Ein großer Teil des verlorenen östlichen Tieflands war zwar die fruchtbarste und am dichtesten bevölkerte Region der Vereinigten Staaten gewesen. Aber im Westen gab es noch jede Menge Platz. Das Gebiet auf den
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