Die letzte Flut - Die letzte Flut - Flood
Wassernixe mit langen blonden Haaren und Schwimmhäuten zwischen den Zehen, die zu einer sentimentalen Schnulze vorbeischwamm.
Dann jedoch meldete sich Helens Handy mit einer Kurznachricht. Ein Transporter, der in aller Eile einen Atomsprengkopf aus einem hochwassergefährdeten Raketensilo im norddeutschen Flachland weggebracht hatte, war bei hohem Tempo in eine Massenkarambolage verwickelt worden. Der Sprengkopf war teilweise detoniert; man hatte Hamburg zum Katastrophengebiet erklärt, und die deutsche Regierung bat um Hilfe.
24
JUNI 2017
Aus Kristie Caistors Sammelalbum:
Mrs. Reese Shelby aus Belle Glade, Florida, protestierte in ihrem Blog dagegen, dass der Staat Schulbusse eingesetzt hatte, um Häftlinge niedriger Sicherheitsstufe aus überschwemmungsgefährdeten Strafanstalten in sicherere Einrichtungen im Norden zu verlegen.
»Es geht mir nicht darum, dass meine Kinder im strömenden Regen zur Schule trampen müssen, dagegen habe ich nichts. Es geht mir auch nicht darum, dass der Gouverneur die Sicherheit von Dieben, Mördern und Vergewaltigern über die Sicherheit anständiger Bürger stellt. Nein, mich stört, in welchem Zustand diese Zuchthäusler die Busse hinterlassen. Die Sitze sind aufgeschlitzt, sie schmieren die obszönsten Graffiti hin, und überall sind Körperflüssigkeiten …«
Mrs. Shelby protestierte anschließend gegen die Entscheidung der Regierung, einzelne Nationalparks für Flüchtlinge aus überfluteten Gebieten zu öffnen.
25
OKTOBER 2017
Nathan Lammockson ließ Lily zum Flughafen von Keflavik fliegen, dreißig Kilometer westlich von Reykjavik gelegen.
Dort holte sie ein AxysCorp-Wagen ab. Er fuhr sie jedoch nicht in die Stadt, sondern ins Landesinnere, durch eine trostlose Landschaft voller Berge mit Eiskuppen. Sie war neugierig auf diese seltsame Insel, die sie zum ersten Mal besuchte. Doch sie hatte keine Zeit, sie zu erkunden. Jetzt, wo Lammockson sein Tiefseetauchboot bekommen hatte, trieb er das Meeresforschungsprojekt mit Hochdruck voran, und Lily befand sich unversehens in einer ganz neuen Phase ihres Lebens. Lily Brooke, die U-Boot-Pilotin - wer hätte das gedacht?
Sie gelangten zu einem Gebäude, das wie ein seriöses Hotel aussah. Wie sich herausstellte, war es Bessastadir, die Residenz der isländischen Präsidentin.
Am nächsten Morgen wartete Lily draußen vor der Residenz auf den Wagen. Die Luft war frisch und kalt, vom Meer kam ein beißender Wind, aber der Boden war nicht gefroren, und es lag auch kein Schnee. Ihr üblicher AxysCorp-Overall hielt sie zwar warm, doch sie setzte trotzdem die Kapuze auf und zog sie um das Gesicht herum zu.
Als der Wagen kam, prangte eine Geborgene-Erde-Fahne von AxysCorp am Kotflügel. Diesmal saß Lammockson im
Fond, während Gordon James Alonzo hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte. Lily schnallte sich vorsichtshalber an. Gordo fuhr wie ein Astronaut; das wusste sie noch aus ihrer gemeinsamen Zeit in den Staaten. Sie hielt sich am Türgriff fest, als der Wagen die Auffahrt entlang und auf die Straße hinaus raste.
Lammockson bot ihr Kaffee in einem Plastikbecher mit Deckel an. Sie lehnte ab, während er einen großen Schluck aus seinem Becher trank, und sich im Wagen das starke Aroma ausbreitete. Lammockson trug einen schweren Mantel aus Pelzimitat, elegant geschnitten und offenbar sehr teuer; er nahm damit fast den ganzen Sitz ein. Gordos Hinterkopf vor ihr, massiv, mit silbergrauen Haarstoppeln, ähnelte einem Sprengkopf; er war ein stämmiger Mann, groß für einen Astronauten und um die fünfundvierzig Jahre alt.
»Na?« Lammockson grinste sie an. »Genießen Sie Ihre bisherige Reise, Lily? Wie gefällt’s Ihnen im Weißen Haus von Island?«
»Wie haben Sie das nur mit der Präsidentin geschaukelt?« »Na ja, das alte Mädchen schuldet mir was. Ich habe hier in den letzten Monaten genug Investitionen getätigt und Arbeit auf diesen gottverlassenen Felsbrocken gebracht, während alle anderen ›Unternehmer‹ auf der Welt Sandsäcke füllen und in der Versenkung verschwinden. Außerdem ist die Hälfte der Hotels in Reykjavik wegen der Überschwemmungen unbewohnbar, wie Sie noch feststellen werden, so wie überall anders auch. Und jetzt werden Sie von einem waschechten Astronauten chauffiert. Wenn ich nicht wäre, würde er alte Damen mit ihren Hündchen aus den Fluten des Mississippi ausfliegen, statt geheimnisvolle Reisen zum
Meeresboden zu unternehmen. Er ist mir einen Gefallen schuldig, und das weiß er auch.
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