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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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gesagt, der Unterschied liege an mir.«
    »Nein«, sagte Hannah. »Ich sagte, die Schwierigkeit liege an dir.«
    Dann wandte sie sich ab und setzte sich hin. Die Schmerzen kamen wieder und es war, als würden kleine Hände gegen ihr Herz schlagen.
    Emma konnte sehen, dass Hannah plötzlich ganz bleich wurde. »Was fehlt dir?«, fragte sie.
    »Alles«, sagte Hannah. »Alles. Frag nicht!«
    Die Kapelle war klein, denn man hatte sie eher im Hinblick auf die Bedürfnisse Noahs als auf die der ganzen Familie gebaut. Ihr angeblicher Zweck bestand darin, als Ort zu dienen, wo der Hochwürdige Doktor die Verbindung zu seinem Gott suchen konnte. Aber sie war zu einem Ort geworden (obwohl nur der Hochwürdige Doktor sich dessen bewusst war), wo Noah Verbindung mit seinem Freund nur gesucht, aber nicht gefunden hatte. Inmitten ihrer mit Ikonen übersäten Wände hatte Jahwe sich kein einziges Mal eingefunden; und seine Stimme hatte auch nicht aus den Tiefen des mit einem Vorhang verhüllten Sanktuariums gesprochen. Noch nie.
    Der Opferaltar, der unter der Pagode stand, aus welcher der Rauch des Feuers entweichen sollte, war noch nie benutzt worden, denn es war ursprünglich Noahs Absicht gewesen, erst dann ein Opfer darzubringen, wenn der Regen aufgehört und die großen Stürme nachgelassen hätten. Die Tötung des Einhorns jedoch bot eine Gelegenheit zum Opfern, die man nicht ignorieren konnte. Sie zu ignorieren hätte bedeutet, dass man die Katastrophe herausfordert. Das Einhorn war eines von Jahwes Lieblingstieren gewesen. Daher hatte Noah – etwas voreilig – die Tötung dieses Tieres in das verkehrt, was er hartnäckig einen rituellen Tod nannte. Jahwe musste beschwichtigt werden, wo immer er auch sein mochte.
    Außerdem musste das Ritualopfer dazu dienen, Noahs entschieden schlechtes Gewissen, was das Einhorn betraf, zu beruhigen. Vielleicht auch noch hinsichtlich eines oder zweier anderer Dinge, die man jetzt besser nicht erwähnen sollte… (Sei still!) Hätte er das Einhorn nicht holen lassen, damit es Emmas Verstümmelung bewerkstelligte, könnte das Tier noch am Leben sein. Daher musste für seinen Tod ein heiliger Zweck erfunden werden.
     
     
    Die Leiche des Einhorns war jedoch unrein: Seine gespaltenen Hufe ließen es nicht zu, dass man es auf den Altar legte. Sein Horn – der heilige Phallus – war natürlich etwas anderes und gerade war Sem dabei, mit einem Hammer seinen Bernstein in Staub zu verwandeln.
    Noah lenkte seine ganze Aufmerksamkeit auf dieses Ritual.
    Dieser heilige Staub… (Sehr gut! Heiliger Staub war gut)…
    Dieser heilige Staub wird dann mit Met (heiligem Met) und mit dem Blut von Emmas Wunde (heiliger Wunde?) vermischt und anschließend von den beiden jungen Menschen zur Erinnerung an das Heilige Tier getrunken, dessen Horn den Vollzug ihrer Ehe ermöglicht hat. Und dessen Heiliges Leben geopfert wurde, damit… damit…
    Noah stockte.
    Damit… Affen…
    Noah blickte sich um. Beobachtete ihn jemand? War da jemand?
    Nein.
    Dessen Leben… dessen Heiliges Leben geopfert wurde… zum größeren Verständnis von… Affen…
    HÖR AUF DAMIT!
    All die Ikonen – viele mit Jahwes Angesicht – beobachteten ihn.
    Damit…
    Schweigen. All die vergoldeten Augen und all die Rubinaugen Jahwes waren auf ihn gerichtet: unerbittlich.
    Noah stand haargenau in der Mitte der Kapelle, vor Panik gelähmt.
    Wie sollte er beten?
    Die Ikonen funkelten.
    Sollte er die achtzehn Segen intonieren – vom Lobpreis des Glaubens der Urväter angefangen bis zur Bitte um Frieden auf der Welt?
    Aber es gab keine Urväter.
    Es gab keine Welt.
    Und allem, was vom Glauben übrig blieb, würde es bald so ergehen wie dem Frieden.
    Endlich wagte Noah, den Ikonen ins Gesicht zu sehen.
    »Sagt mir!«, sprach er laut. »Wie soll ich beten?«
    Die Rubinaugen – die vergoldeten Augen – antworteten nicht, wollten nicht antworten. Alle Münder Jahwes – jeder einzelne – versagten sich den Worten.
    Noah drehte sich zum Altar um, wo er drei Würfel Weihrauch hinlegte. Er würde das feierliche Trauergebet für das Einhorn sprechen – für dieses spezielle Einhorn und für das Einhorn als das Letzte seiner Art – seinen unwiderruflichen Tod aus den Händen der ungezähmten Bestie beklagen…
    Den es aus den Händen Japeths, des Affen, empfangen hatte.
    Und aus denen Emmas.
    Noah stand mucksmäuschenstill vor dem Altar, an seinen Fingern haftete der Geruch von Weihrauch.
    Wenn ich überhaupt ein Gebet finde; was ich auch sonst

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