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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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würden einen Ort mit Suhlen und Wasser und Bäumen brauchen, Bäumen, die in ihrer verschwenderischen Fülle nicht zu dicht wuchsen: einen Wald oder einen Forst, wo man zwischen den Eukalyptusbäumen und Buchen noch Platz zum Durchgehen fand: Grasland, wo sie weiden konnten… Und was dorthin passen würde: das Zebra, denn das graste, und Langhals, der bräuchte das Flachland zum Laufen und die Bäume der Ebene zum Äsen…
    Luci war neben dem Käfig des Greifs stehen geblieben und hatte sogar ihre Finger durch das Gitter gesteckt! Ham fragte sich, ob es überhaupt etwas Gefährliches gab, das sie aus der Fassung bringen konnte. Luci schien immer gerade von den Außenseitern und Geächteten, den seltsam Gestalteten und den extrem Zarten fasziniert zu sein: von Greifen und Glasmäusen, Dämonen und Einhörnern; von Kobras und Schnabeltieren. Ihre Lieblingsvögel waren die ungemein hässlichen Dodos und die ungemein unbeliebten Kuckucke, deren Eier überall zu finden waren, auch in Lucis Perücken und in Emmas Bett.
    »Hast du gewusst«, sagte Luci – sie rief über den offenen Schacht hinweg, der sich zwischen ihnen befand –, »dass der Greif ein Sprachgenie ist? Er kann alle Sprachen, die es gibt, sogar meine.«
    »Wie meinst du, ›sogar deine‹?«, fragte Ham.
    »Nichts«, sagte Lud. »Nur so eine Redensart. Hast du keine eigene Sprache?«
    In diesem Augenblick öffnete sich – noch bevor Ham antworten konnte – ein Stockwerk höher die große Tür zum Deck.
    Mrs Noyes war plötzlich hellwach und stieg hinunter, zog ihren Arm von Mottyl und ihre Finger vom silbernen Männchen weg.
    »Entschuldigung«, sagte sie. »Das könnte Emma sein, die zurückkommt.«
    Schnell schob sie das Treppchen in sein Versteck und ließ den Strohvorhang herunter.
    In der Zwischenzeit war Ham schon den Gang entlang zur Treppe unterwegs, und Lucis Laterne hatte sich vom Greifenkäfig abgewandt und wippte auf der anderen Seite des Schachts.
    »Schnell, schnell!«, trieb Mrs Noyes sich selbst an. »Schnell, schnell…«, denn zu ihrem Leidwesen hatte sie entdeckt, dass ihr die Beine eingeschlafen waren.
     
     
    Zuerst zeigte nur der geräuschvolle Luftzug, dass jemand da war. Mrs Noyes, Ham und Luci machten sich auf den Weg zum oberen Stockwerk – in der Annahme, dass sie jeden Augenblick Emmas Stimme hören würden. Auch wenn sie heulen sollte. Hauptsache es wäre ihre Stimme. Aber nur der Wind und das Quietschen der Tür waren zu hören.
    Als sie die zweite Treppe erreichten, erkannten sie, nur allzu deutlich, dass Japeth dort stand, obwohl er keine Laterne trug und nur vom Licht von Lucis Lampe beschienen war. Japeth hielt in einer Hand sein Schwert und in der anderen etwas anderes, etwas Unidentifizierbares.
    Schließlich räusperte sich Mrs Noyes und fragte: »Wo ist Emma?«
    Japeth sagte: »Emma ist hier oben, endgültig. Sie gehört jetzt zu uns.«
    Ham sagte: »Das ist unmöglich.« Fast hätte er laut gelacht.
    Japeth sagte: »Nein. Es ist nicht unmöglich. Vater hat einen Ritus durchgeführt und Emma ist jetzt endlich und wahrhaftig meine Frau.« Wie zum Beweis dafür wurde seine Haltung noch gerader.
    Ham hegte noch Zweifel. »Emma ist schon immer deine Frau gewesen, Jap. Du hast nur Schwierigkeiten gehabt beim Versuch…«
    »Fang nicht damit an!«, sagte Japeth. »Fang nicht wieder damit an!«
    Also, dachte Mrs Noyes, ist es endlich geschehen. Nun – verflucht soll er werden!
    Japeth kam weiter aus der Dunkelheit hervor und streckte ihnen das Ding in seiner Hand hin. Sein Schwert war es nicht. Aber die Form sagte ihnen nichts. Nur der Zustand des Gegenstandes ließ sie auf eine Geschichte schließen – es war tot und blutüberströmt. Und auch Japeths Arm war voller Blut. »Hier«, sagte er. »Hier habt ihr euren anderen Freund.« Und er warf den Körper eines kleinen verstümmelten Tieres nach unten, dessen Wunden so blutig waren, dass niemand erkennen oder erraten konnte, wer es war.
     
     
    Als Japeth ging, machte er ein großes Spektakel daraus, die Tür zu verschließen und zu verriegeln, dabei kam ein heftiger Windstoß herein, so laut, als würden schwere Nägel in etwas hineingehämmert. Der Lärm ließ alle starr im Lichtkreis von Lucis flackernder Lampe verharren; regungslos blickten sie das an, was ihnen zu Füßen lag. Das Einhorn. Tot.
    Mrs Noyes fiel nicht hin, auch wenn sie es sich jetzt gewünscht hätte. Ihre Knie wollten nicht nachgeben.
    Luci – schweigend – reichte Ham ihre Lampe und kniete

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