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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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zur Arche gehen.
    Bip hatte Zweifel. »Es ist nur Regen. Zugegeben, der schlimmste, den wir je erlebt haben. Aber die Dürre war auch die schlimmste, die wir je erlebt hatten, kein Wunder also, dass es jetzt so regnet.«
    »Nein.« Mottyl blieb hartnäckig. »Dies werdet ihr nicht überleben, glaubt mir! Schreckliche Dinge ereignen sich.«
    Da schwang Ringer sich herunter und gesellte sich zu ihnen. »Was? Was Schreckliches denn?«
    Mottyl überlegte, ob sie ihnen von dem bevorstehenden Tod Jahwes erzählen sollte – und von dem Pakt, den er mit Doktor Noyes geschlossen hatte, um die Welt zu vernichten. Aber der Pakt war nur eine Vermutung – ein Gerücht; die Arche dagegen war echt – und der Regen war echt und spürbar; mit diesen Informationen konnte man etwas anfangen.
    Schließlich sagte sie zu Bip und Ringer, falls sie an Bord der Arche gingen und sie, Mottyl, Unrecht hätte, bräuchten sie ja nur wieder auszusteigen. Wenn sie aber Recht hätte, wären sie schon an Bord und sicher, wenn die Katastrophe losging.
    »Was ist mit dir?«, wollte Bip wissen.
    »Ich warte noch«, log Mottyl. »Ich werde schon rechtzeitig oben sein, muss noch ein oder zwei Dinge erledigen.«
    »Deine Kätzchen auf die Welt bringen?«
    »Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«
    Bip warf Ringer einen Blick zu. Der Klang von vielleicht auch nicht gefiel ihm nicht.
    »Geht’s dir gut?« Auch Ringer machte sich um Mottyl Sorgen. »Hast du Probleme?«
    »Nein. Keine Probleme. Ja. Es geht mir gut. Aber euch wird es nicht gut gehen, wenn ihr jetzt nicht zur Arche geht.«
    Endlich, wenn auch gegen ihren Willen (»Wir würden lieber auf dich warten«), ließen sich Bip und Ringer dazu überreden, den Berg hinaufzugehen.
    Der Wald war zum Ziel fast jeder Wanderschaft geworden: Er wurde ein Schutzort für jede Art von flüchtendem Getier in jeglichem Zustand – ein Schlafplatz für die Vögel – ein Versteck für die Verletzten und ein Marktplatz für die Raubtiere. Sumpftiere – Wiesentiere – Flusstiere – Haustiere zogen ein – jedes einzelne zwangsvertrieben. Jäger und Beute; Wirte und Parasiten; eine große Vielfalt an Vögeln und anderen Tieren und Insekten – alle um dasselbe Futter ringend – durchstreifte die Dämmerung. Jede Beere, jedes saftige Blatt, jeder Frosch und jede Maus wurden vertilgt. Eichhörnchen, Kaninchen, Affen, Maulwürfe und dutzenderlei Vögel konnten kein Versteck mehr finden – überall waren ihre Schreie zu vernehmen – und der Gestank von Blut und Innereien.
    Dennoch konnten selbst die potenziellen Opfer sich nicht entschließen, den Wald zu verlassen. Gerade so, als ob die Bäume – und nur die Bäume – in der Lage wären, sie zu retten.
    Nachdem sie sich von Bip und Ringer verabschiedet hatte, ging auch Mottyl in den Wald; sie war auf der Hut, fühlte sich aber ganz ruhig. Ihre Erfahrung mit der Blindheit hatte ihr eine Art Beharrlichkeit gegeben, wenn es darum ging, im Wald zu überleben. Sie hatte hier schon so viel mitgemacht – und ging jetzt direkt auf ihr Ziel zu, den Kopf gesenkt und die Schultern nach vorne gestreckt. Ihr Ziel war der Baum nicht weit vom weitesten Waldrand, nahe der Straße, wo Krähe ihr Nest hatte. Wenn jemand ihr helfen könnte, war es Krähe. Und Krähe würde es tun. Nicht umsonst waren sie die ganzen Jahre über Freundinnen gewesen. Sie waren einander so oft behilflich, hatten so oft Essen und Warnungen getauscht. Was Mottyl jetzt vor allem brauchte, waren Krähes Augen und Krähes Nest.
    Und sie hatte so viel Hunger. Die Eier waren nicht sehr groß gewesen, hatten nur ihren Appetit angeregt.
    Mit festem Schritt und eingezogenen Krallen – ihre Kinder schaukelten in ihrem Bauch – machte sich Mottyl auf den Weg; sie war fest entschlossen, wenn sie unterwegs sonst nichts finden würde, Insekten zu fressen.
    Vor ihr huschten Feen kreischend auseinander. In ihren Wald waren so viele Fremde eingefallen, dass sie nicht wussten, wo sich verstecken. Einigen hatte es schon das Leben gekostet, andere waren so geschwächt, dass sie sich kaum vom Boden lösen konnten. Alles, was sie gewöhnlich aßen – die sonst so reichlich vorhandenen Honig- und Harzsorten –, war vertilgt, und, was Nahrung anging, war der Wald für sie zu einem Ödland geworden. Mottyl begegnete mindestens drei Gruppen von Feen, die so erschöpft und vor Hunger so geschwächt waren, dass sie um sie herumgehen musste. Sie konnten sich nicht mehr bewegen.
    Es war eine sehr seltsame Zeit für Mrs Noyes –

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