Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
doch unbedingt mal zu Hause besuchen.
»Bei mir lebt mein kleiner Bruder, und meine Freizeit verbringe ich zu zweit mit ihm. Es tut mir furchtbar leid«, wehrte ich dankend ab.
»Dann bring doch deinen Bruder mit.«
Wenn er sich so überaus eifrig bemüht, soll es mir recht sein, solang er mich und meinen Bruder nur zum Essen einlädt, dachte ich und willigte beim soundsovielten Mal ein. Danach lud er uns an freien Tagen immer wieder zum Essen ein.
Eines Tages, als wir wie immer Herrn Kuwano besuchten, war seine Mutter bei ihm. Obwohl wir uns zum ersten Mal sahen, fand ich, daß sie lauter komische Reden führt.
»Mein Sohn sagt nämlich, er möchte unbedingt, daß ich Sie kennenlerne … Darf ich Sie fragen, welche Schule Sie absolviert haben? Heutzutage gibt es doch Frauen, die nicht einmal imstande sind, die gängigen Nachrichtenblätter zu lesen, nicht wahr? Masaharu ist etwas eigenwillig, daß er in so einer Stadt hier allein lebt, aber unsere Familie betreibt ein führendes Geschäft in Tōkyō. Meine Tochter wird in europäischer Schneiderei ausgebildet, und kaiserliche Prinzen geruhen, uns mit Aufträgen zu beehren. Sicher werden Sie einwilligen, daß Sie sich dem Status unseres Hauses anpassen müssen, wenn Sie zur Heirat bereit sind«, beschwatzte sie mich mit Eifer, als ob wir schon miteinander verlobt wären.
Völlig verblüfft rannte ich Hals über Kopf davon und dachte:
›Du Scheiß-Alte, du! Ich bin Geisha gewesen, und die Geisha-Schule hab ich absolviert! Und bin Mätresse gewesen! Und wenn ich dir mit Zigaretten in die Fresse paffen könnt, tät ich mich gleich wohler fühlen!‹
Schade, daß ich mir diese Genugtuung nicht verschaffen konnte.
Auch nach der Rückkehr nach Hause grummelte ich noch immer weiter: »Zu diesem Miststück geh ich kein einziges Mal mehr!«
Da sagte mein Bruder mit echtem Bedauern:
»Schwesterchen, warum bist du denn fortgelaufen? Gehn wir da nicht mehr hin? Wie schade, wo's da immer so was Gutes zu essen gab!«
Als ich Herrn Kuwano danach wieder begegnete, wies ich ihn zurecht.
»Sie sind mir ein dreister Mensch! Sie haben mich in meiner Arglosigkeit reingelegt. Ich sag Ihnen nur das eine in aller Deutlichkeit: Ich hab nicht vor zu heiraten!«
Da machte Herr Kuwano eine bekümmerte Figur. Mir tat es leid, was ich ihm angetan hatte. Wenn ich gar nicht erst zu ihm zu Besuch gegangen wäre, hätte sich der Mann auch keine Hoffnungen gemacht, und jetzt hätte er kein Herzeleid … Als er eine Entschuldigung stammeln wollte, herrschte ich ihn von oben herab an, er sei ein Jammerlappen, wenn er sich jetzt auch noch rechtfertigen wolle, und lief fort, aber im Herzen bat ich ihn mit zusammengelegten Händen:
»Ich verstehe Ihre aufrichtige Zuneigung sehr gut; bitte verzeihen Sie mir!«
Das Suiton-Gasthaus
Das Gasthaus, in dem ich arbeitete, nannte sich »Doniku-Kantine« und bereitete Suiton zu, eine Art von Klößchensuppe aus Kartoffelrückständen, die nach der Extraktion der Stärke übrigbleiben, und verkaufte die Portion zu 50 Sen. Mittags um zwölf machte es auf und blieb bis um vier geöffnet, aber unter den Kunden waren auch solche, die mit einem Topf in der Hand die Suppe kauften, so daß gegen zwei Uhr meist schon alles ausverkauft war. Meine Arbeitszeit war von 8 bis 17 Uhr, mit drei freien Tagen im Monat.
Die Leute hier waren alle immer nett zu mir, und ich fürchtete nur, daß man mich wieder verachten und verhöhnen würde, wenn bekannt würde, daß ich Geisha und Mätresse gewesen bin. Ich achtete darauf, daß meine Vergangenheit nicht bekannt wurde. Weil es nicht weit von meiner Wohnung war, nahm ich mir keine Verpflegung mit, aber auch deshalb, weil ich die Zigarette, die ich mir vor den Gästen nicht genehmigen konnte, in der Mittagspause in Ruhe zu Hause rauchen wollte.
Der Chef der Kantine war ein großzügiger Mensch und schien mit dem Herrn Yamamura Shinjirō, der später Oberhaus-Abgeordneter wurde, gut befreundet zu sein, denn ich sah sie oft zusammen. Es erfolgte die Bekanntmachung, daß im Februar die Währung auf den neuen Yen umgestellt werde. Mein Chef sammelte eifrig 50-Sen-Münzen und 1-Yen-Scheine, tat sie Tag für Tag in eine Apfelkiste und trug sie nach Hause. Auch in der Gaststube sollte ich mir möglichst abgezähltes Kleingeld geben lassen und sagen, wir hätten kein Wechselgeld.
Im April fanden die ersten Wahlen statt, und Frauen durften jetzt auch wählen. Die ersten Schriftzeichen , die ich je geschrieben habe, waren
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