Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
die 9 Silbenzeichen für »YamamuraShinjirō«. Ich nahm mir mein Brüderchen zum Lehrer und versuchte, die Bleistiftmine naßleckend, mit größtem Eifer, die Schreibweise zu lernen. Mein Bruder belehrte mich:
»Der Lehrer hat gesagt, daß alles umsonst ist, wenn man nur ein einziges chinesisches Zeichen falsch malt. Auch wenn man jemand einen Brief schreibt, soll man sich besser nicht an Zeichen trauen, die man nicht kennt. Es ist weniger unhöflich, wenn man lieber Silbenzeichen schreibt, gut leserlich und sauber.«
Erschrocken fragte ich:
»Du hast doch nicht etwa deinem Lehrer gesagt, daß deine Schwester nicht lesen und schreiben kann?«
»Ich hab nix gesagt. Ich sag bestimmt keinem was, was dich in die Klemme bringen kann.«
Mein Bruder war wirklich klug, lieb und verständnisvoll. Geschwisterliche Zuneigung mag wohl auch mit hereinspielen, aber ich finde, daß mir bis heute kein Junge begegnet ist, der so fabelhaft war wie mein kleiner Bruder.
Was den Herrn Yamamura betrifft, dem ich bei der Wahl meine Stimme gegeben habe, dem habe ich nämlich, als er einmal zur Lebensmittel-Genossenschaft gekommen ist, im Auftrag des Chefs der Kantine mal Suiton gebracht. Wie ich da hin kam, waren da vier oder fünf Herren, piekfein gekleidet. So hohe Tiere werden doch kein Suiton essen, dachte ich, aber ich konnte ja nicht schweigend kehrtmachen.
»Das werden Sie eh nicht essen«, sagte ich und stellte es vor den Herrn. Ich dachte, der läßt das sowieso stehen, und genierte mich so, daß mir am ganzen Körper siedend heiß war.
»Aber doch, warum denn nicht? Ich greife zu …«, sagte er und nahm die Stäbchen zur Hand. Ich stand da wie versteinert. Da lachte er:
»Es ist mein Prinzip, jede Liebenswürdigkeit, die mir irgend jemand zuteil werden läßt, dankbar anzunehmen.«
Ich fühlte mich gerettet und dachte, das ist doch ein großartiger Mensch, und wollte ihm deswegen bei den Wahlen auch unbedingt meine Stimme geben. Am Tag des Urnengangs nahm ich das Papier mit, auf das mein Bruder den Namen geschrieben hatte, und malte es ab.
Der Sohn des Chefs der Doniku-Kantine war ein angenehmer junger Mann mit Namen Kōzō. Der war ein Liebhaber ausländischer Filme und nahm mich erstmals mit, den Film »Spring Parade« mit Deanna Durbin zu sehen. Weil ich die Untertitel nicht lesen konnte und nicht begriff, worum es ging, hatte ich meine liebe Not, zu tun, als hätte ich alles verstanden.
Als er mich zum zweiten Mal einlud, wollte ich auf keinen Fall einwilligen, besann mich dann aber, um nicht wegen so etwas wie einem Film jemand zu vergrätzen, mit dem ich tagtäglich zu tun habe. Wenn irgend etwas auf dieser Welt idiotisch ist, das alleridiotischste sind diese unsynchronisierten Filme. Der Film hieß »Mayerling«, und nur die Szene, als eine Frau namens Danielle Darrieux am Ende stirbt, fand ich schön; ansonsten tat ich, als weinte ich, wenn die Leute weinten, und lachte, wenn die andern lachten, aber den Sinn der Geschichte habe ich nicht begriffen.
Auf dem Heimweg, eingehängt in die Halteschlaufe der Trambahn, sagte er auf einmal unvermittelt zu mir:
»Sayochan, willst du nicht meine Braut werden?«
»Ich habe meinen Bruder bei mir.«
»Ich weiß. Mir gefällt dein Mut, deinen Bruder mitzuversorgen. Man kann in der Zukunft nicht weiterkommen, wenn man sich hängenläßt. In dieser Hinsicht bist du großartig. Du kannst deinen Bruder bei dir behalten. Mein Vater hat auch nichts dagegen, der sagt, du würdest dich auch mitAnhang durchbeißen. Du mußt mir nicht gleich jetzt antworten. Ich habe auch Knochenfraß gegessen als Soldat. Sayochan, du solltest meine Braut werden.«
Solche Sachen flüsterte er mir ins Ohr, ganz so, als rede er wie in dem Film, den wir gerade gesehen hatten.
In der Nacht war ich unschlüssig. Auch mir war Herr Kōzō durchaus nicht unsympathisch, aber wenn er erfährt, daß seine Braut, die er für ein wackeres Mädel gehalten hat, in Wahrheit eine alte Schlampe ist, dann weiß ich schon, auch ohne lang nachzudenken, wie das enden wird. Ich traue mir nicht zu, mich nach der Heirat auf Jahr und Tag immer zu verstellen. Der kann mich noch so sehr mögen und lieben, wenn er meine wahre Vergangenheit erfährt, daß ich Geisha und Mätresse gewesen bin, ist es sonnenklar, daß er dann sein Interesse verliert.
Bis zum Morgengrauen dauerte es, dann kam ich zu dem Entschluß, wenn ich schon weinen muß, dann lieber hier und jetzt als später, verhöhnt und verachtet. Als Ausrede habe
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