Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
zehn Uhr abends wurde, und wartete auf mich.
Weil es auch keine Kohle zu kaufen gab, brieten wir Makrelen qualmend mit Kleinholz und aßen jeden Tag Pellkartoffeln zu diesen nach Rauch stinkenden Makrelen. Wenn ich an jene Zeit zurückdenke, bewegt mir auch jetzt noch heiße Rührung das Herz. Auch das Anstehen nach Fahrkarten samt dem Schlafen auf der Gasse hatte mir mein Bruder fast vollkommen abgenommen.
Die Einkäufer-Kollegen waren etwa 15 oder 16 Leute. Unterwegs trennte man sich in Gruppen von zwei bis drei Mann und ging auf die Bauerndörfer. Ich ging zusammen mit zwei alten Weibern, aber weil es eine ungewohnte Arbeit war, stellte ich mich ungeschickt an. Die Weiber kauften, was sie brauchten, und ich nahm, was übrigblieb, aber eines Tages hatte ich noch nicht mal ein Kilo Kartoffeln zusammen, da sagten die Alten schon:
»Wir haben zwar noch nicht genug, aber heut läuft's halt schlecht. Auf, fahrn wir heim!«
Allein zurückgelassen zu werden, davor hatte ich Angst und kehrte deshalb wohl oder übel mit zum Bahnhof zurück, stand aber kurz davor, loszuheulen. Die Mühe meines Bruders, der für mich die ganze Nacht über auf der Gasse geschlafen hat, und das für die Zugfahrt ausgegebene, dringend benötigte Geld waren umsonst gewesen. Da sprach mich einer der Einkäufer-Kollegen an, ein Mann, den wir Herrn Yasu nannten:
»Was ist denn los, du hast ja einen leeren Rucksack auf dem Buckel!«
»Heute hat's überhaupt nicht geklappt«, antworte ich unter Tränen.
»Das ist aber schad um die Mühe. Da, wo ich gewesen bin, gab's noch mehr … Geh doch gleich noch mal hin und kauf's auf!«
Der Zug von Narita nach Chiba um kurz nach fünf ist der letzte Zug. Wenn ich den nur kriege, ist's recht, dachte ich und zockelte wieder los. Bis zu der Gegend, die mir Herr Yasu beschrieben hatte, sind es zwei Meilen hin und zwei Meilen zurück, ich müßte also vier Meilen laufen. Das hing mir zum Hals raus. Da kam Herr Yasu hinter mir hergelaufen und sagte, er wolle mit mir gehen.
In der Tat konnte ich jede Menge Kartoffeln kaufen. Der Rucksack war schon dicke voll, aber je mehr, desto besser; ich kaufte noch über 7 Kilo Rettich und trug das in der Hand.
Zum Einsteigen packte ich das Rettichpaket noch auf den Rucksack drauf und band es mir am Hals fest. Der Zug warproppevoll, Ein- und Aussteigen war ein Wahnsinn. Mit meiner schweren Last auf dem Buckel wankte ich hin und her, von den Leuten gestoßen, und war daher die letzte beim Einsteigen. Von Herrn Yasu reingeschoben, bekam ich mit Mühe das Geländer an der Wagenplattform zu fassen. Nachdem Herr Yasu mich reingeschoben hatte, konnte er unmöglich im selben Wagen noch zusteigen und rannte zu einem anderen Eingang.
Mein Körper mit seiner schweren Last hatte zwar gerade so die Füße auf der Plattform, und beide Hände hatten Halt, aber ich hing nach hinten verkrümmt unter meiner Last. Das Paket mit dem Rettich auf meinem Rucksack war runtergerutscht und drohte mir den Hals zuzuschnüren. Ich mühte mich verzweifelt, irgendwie weiter nach innen zu kommen, aber auch die Leute innen standen eng zusammengepfercht – wer die Hand losläßt, fällt vom Wagen runter.
In dem Moment setzte sich der Zug in Bewegung. Meine Haltung fiel einem Bahnbeamten auf, und in meiner verkrampften Haltung drang mir seine Stimme ans Ohr, wie er brüllte:
»Loslassen, laß sofort die Hände los!«
Bestürzt ließ ich die Hände los.
Ich wurde auf den Bahnsteig geschleudert und überschlug mich, daß die Kartoffeln unten und ich obenauf, auf dem Rücken, zu liegen kamen. Ich hatte mir bös die Hüfte geprellt und konnte nicht gleich aufstehen. Unter lautem Rufen kamen die Bahnbeamten herbeigelaufen. War ich eher beschämt oder eher hilflos? Als ich furchtsam den Kopf hob und schaute, stand da auch Herr Yasu, der sich zwischen die Bahnbeamten gedrängt hatte. Er sagte, er sei auch abgesprungen, als er sah, daß ich runtergefallen war.
Dieser Zug war der letzte, hieß es, bis zum ersten Zug morgen früh um kurz vor fünf fährt keiner mehr. Mit Hilfe derBahnbeamten konnten wir in einem Gasthaus übernachten. In dem Gasthaus ließen wir uns einige der Kartoffeln, die wir bei uns hatten, kochen und aßen sie zu zweit.
So weit, so gut. Aber dann, als es so weit war, daß wir beide im selben Zimmer schlafen sollten, murmelte ich in meinem Innern: ›Oje, da bin ich schon wieder in eine vertrackte Lage geraten!‹
Herr Yasu fing an, mir das Folgende zu erzählen.
»Ich war früher
Weitere Kostenlose Bücher