Die letzte Hürde
was sie bisher gehört hatten. Im Gleichschritt nebeneinander reitend verließen sie auf ihren Pferden die Bahn.
Draußen sprang Bille aus dem Sattel und trat auf Hannes zu. Wortlos fielen sie sich in die Arme, lachten, drückten sich aneinander und drehten sich ein paarmal im Kreis. Schließlich blieben sie stehen und blickten sich an.
„Hannes, das war ...“, Bille stockte, ihr fehlten die Worte für das, was sie empfunden hatte. „Das war phantastisch! Du warst wirklich gut!“
Hannes zog sie noch einmal an sich und drückte ihr einen Kuß auf den Mund. Bettina sah es und seufzte. Sollte sie darüber schweigen, wenn Simon sie fragen würde? Sollte sie ihm die Wahrheit sagen? Bille und Hannes, Simon und Nathalie, sollte sie sich mit dem Gedanken abfinden? Sie konnte es nicht glauben. Andererseits, daß Simon und Bille für immer beieinanderblieben, war ein Wunschtraum -und vielleicht ein recht egoistischer. Denn konnte sie wirklich beurteilen, ob Hannes nicht viel besser zu Bille paßte? Besonders wenn Simon das geplante Studium tatsächlich für eine jahrelange Turnierkarriere aufschieben würde, vielleicht sogar ganz aufgeben. Sie mußte mit Tom darüber reden. Er war Simons bester Freund, er würde ihr raten können, was da zu tun war.
Der große Aufmarsch aller beteiligten Pferde und Reiter begann. Unter schmetternden Trompetenklängen füllte sich die Reithalle, bis nicht einmal ein Shetlandpony mehr Platz gefunden hätte. Alle hatten sich Heiner Petersen zugewandt und winkten nun mit bunten Fähnchen zu ihm hinauf. Und die vordersten Reiter entrollten ein großes Spruchband mit der Aufschrift:
GROSS-WILLMSDORF DANKT IHNEN FÜR
VIERZIG JAHRE
LIEBEVOLLER BETREUUNG DER PFERDE,
HERR PETERSEN!
„Wie lange müssen wir denn hier stehen?“ raunte Beppo. „ Sahida geht die Enge unheimlich auf den Keks. Sie mag das nicht!“
„Halt noch ein bißchen aus, jetzt geht’s erst ans Händeschütteln“, antwortete Bille. „Mir scheint, deine Sahida braucht dringend ein T.T.E.A.M.-Training, damit sie lernt, völlig entspannt dazustehen.“
„Ach was, das schaffen wir auch so!“
Beppo klopfte seiner Araberstute beruhigend auf den Hals. Aber Sahida hatte ihre eigene Methode, sich Platz zu verschaffen: Sie biß einmal nach rechts, einmal nach links und keilte kräftig aus - und sofort hatte sie mehr als genug Raum um sich.
„Ja, mit Gewalt! Da kann’s jeder!“ rief Hannes lachend. Der alte Heiner Petersen war inzwischen von der Tribüne hinuntergestiegen, um sich bei jedem der Beteiligten zu bedanken. Oben begannen eifrige Helfer, das Buffet aufzubauen. Nach und nach verließen die Reiter die Halle, um ihre Pferde zu versorgen, während andere schon bereitstanden, auf dem Sägemehl einen improvisierten Bretterboden auszulegen und Tische und Bänke aufzustellen.
Und dann wurde gefeiert! Nur selten hatte Groß-Willmsdorf so ein Fest erlebt. Bille überschlug die Zahl der anwesenden Gäste und kam auf annähernd dreihundert.
„Wer zahlt das eigentlich alles?“ erkundigte sich Niko beiläufig. „Herr Tiedjen allein?“
„Nicht ganz. Zum Glück hat es ein paar großzügige Spender gegeben. Ich denke, auch Mutsch und Onkel Paul haben ihren Teil dazu beigetragen.“
„Vermutlich den wohlschmeckendsten!“ stellte Florian zufrieden fest. „Und so reichlich von allem, man muß gar kein schlechtes Gewissen haben, wenn man richtig zuschlägt! Na ja, wir haben es auch verdient! Jetzt hole ich mir noch mal Pudding und Torte.“
„ Flori ! Das ist deine dritte Portion!“ mahnte Niko erschrocken.
„Nein, deine erste! Du wolltest ja nichts Süßes.“
Der Theaterliebhaber
Auch Lena war mit ihren Eltern unter den Festgästen. Bille hatte darauf bestanden, daß sie sich die große Pferde-Show ansahen und Lenas Eltern einen Eindruck davon bekamen, was das Reiter-Internat zu leisten imstande war. Vielleicht waren sie doch zu überreden, Lena für die letzten beiden Schuljahre nach Groß-Willmsdorf zu schicken, auch wenn sie sich bisher beharrlich geweigert hatten, die gehbehinderte Tochter, die ihr ganzer Lebensinhalt war, fortzulassen.
Lena fühlte sich inzwischen im Internatsstall schon wie zu Hause. Sie hatte sich mit Johnny dem Indianer angefreundet und auch unter den Schülern erste Freundschaften geschlossen. Jetzt schleppte sie die Eltern unermüdlich von einem Ende des Stalls zum anderen, zeigte ihnen die Pferde, nannte ihre Namen, erklärte ihre Abstammung, erzählte Geschichten, Streiche und
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