Die letzte Jungfrau ...
schließlich mit aller Macht losbrach, nahm sie Sam in die Arme, und er fand Geborgenheit und inneren Frieden bei ihr.
10. KAPITEL
Am nächsten Morgen war der Sturm abgeflaut, und Sam fühlte sich wieder wohl. Anscheinend glaubte er, Annie würde noch schlafen, aber sie war wach und beobachtete ihn verstohlen, als er aufstand und sich anzog. In seiner Hosentasche knisterte etwas. Er schob die Hand in die Tasche und zog den mittlerweile völlig zerknitterten Brief heraus, den der Anwalt ihm nach der Trauung gegeben hatte. Da Sam sich am Vorabend umgezogen hatte, fand Annie es ziemlich vielsagend, dass er das Schriftstück noch bei sich hatte.
Leise verließ er das Zimmer, und sie stand ebenfalls auf und zog sich rasch an. Vorsichtig ging sie dann die Treppe hinunter und sah Sam in der Küche verschwinden. Sie folgte ihm, zögerte aber an der Tür und wartete darauf, dass er den Brief endlich lesen würde — was ihrer Ehe den Todesstoß versetzen würde.
Sam drehte das Kuvert mehrmals um, dann nahm er eine Schachtel Streichhölzer von der Anrichte und ging zum Spülbecken. Dort zündete er eins der Hölzchen an.
“Warte”, flüsterte Annie.
Sam wandte sich ihr zu. “Ich wollte den Brief verbrennen.”
“Tu es nicht.” Sie ging zu ihm.
“Warum nicht?” Er ließ das Streichholz ins Becken fallen, bevor es ihm die Finger versengte. “Du befürchtest doch, dass dieser Brief unsere Ehe zerstört. Nichts, was dein Vater mitteilen wollte, ist diesen Preis wert. Wenn ich etwas wissen sollte, kannst du es mir sagen. Andernfalls ist es nicht wichtig.”
Annie schüttelte den Kopf. “Das sind seine letzten Worte an mich. Ich möchte wissen, was er geschrieben hat.”
“Auch wenn es dich schmerzt?”
“Ja.” Sie schmiegte sich Trost suchend an Sam. “Sogar dann.”
Er seufzte. “Bist du dir ganz sicher?”
“Absolut.” Es durfte in ihrer Ehe keine Geheimnisse geben.
Rasch riss Sam den Umschlag auf, zog ein einzelnes Blatt heraus und las es flüchtig, bevor er es Annie reichte.
Ihre Hände bebten so sehr, dass sie den Brief fast nicht festhalten konnte. “Lieber Sam”, stand da, und plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. “Er ist an dich gerichtet. Das ist ja unglaublich.”
“Anscheinend hat dein Vater geahnt, dass ich dich nicht so leicht aufgeben würde. Er hatte recht.”
Annie blinzelte, aber die Tränen ließen sich nicht zurückhalten. “Ich kann ihn nicht lesen, weil ich beinah nichts sehe.”
Behutsam nahm er ihr das Blatt ab und setzte sich an den Tisch. “Dann lese ich ihn dir vor. Komm her zu mir.” Sie wollte sich neben Sam setzen, aber er zog sie auf seine Knie. Dankbar für seine unerschütterliche Zärtlichkeit, lehnte sie den Kopf an seine Schulter. Sam begann zu lesen.
Lieber Sam,
zuerst möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich mich in Deine Beziehung zu Annie eingemischt habe. Ich bedaure sehr, Euch beiden damit Kummer gemacht zu haben. Damals hielt ich meine Entscheidung für gerechtfertigt, da Annie noch so jung war und der Altersunterschied zwischen Euch erheblich. Außerdem war ich schon sterbenskrank und wollte sie nicht verlieren, was geschehen wäre, wenn sie Dich nach New York begleitet hätte. Unglücklicherweise habe ich sie dennoch verloren. Sie hatte die Koffer schon gepackt, und nichts, was ich sagte, konnte sie von ihrem Entschluss abbringen. Deshalb erzählte ich ihr schließlich die Wahrheit über ihre Mutter und drohte, diese Information auch an die Öffentlichkeit zu bringen, falls Annie darauf bestehen sollte, Dir zu folgen. Sie willigte daraufhin ein, nicht mit Dir durchzubrennen, aber am nächsten Tag hat sie ihr Zuhause verlassen und ist zu Myrtle gezogen. Ich hoffe, eines Tags könnt Ihr mir verzeihen, und außerdem hoffe ich, dass Eure Ehe von Glück gesegnet sein wird.
Joe Delacorte
.
“Das ist alles?”, fragte Annie ungläubig. “Mehr steht wirklich nicht in dem Brief?”
“Und jetzt leiten wir sofort die Scheidung ein?”, neckte Sam sie zärtlich.
Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. “Dad hat dir nicht alles verraten.”
Heftig warf er den Brief auf den Tisch. “Ich kann dich anscheinend nicht davon überzeugen, dass ich nicht mehr zu wissen brauche. Dein Vater hat das Geheimnis deiner Mutter mit ins Grab genommen. Das alles liegt weit zurück. Du solltest an die Zukunft denken.” Er umfasste ihr Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. “Unsere gemeinsame Zukunft.”
“Meinst du das ganz ehrlich?”, fragte
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