Die letzte Jungfrau ...
war nichts Wichtiges”, erwiderte sie betont uninteressiert. “Damit brauchen wir sie nicht zu belasten.”
Er seufzte. “Annie glaubt, dass sie eine Beaumont ist und keine Delacorte.”
Schockiert sah Myrtle ihn an. “Was sagst du da?”
“Und sie weiß, dass du ihre Mutter bist”, fügte er hinzu.
Sie blickte von ihm zu Annie, und der Stock zitterte in ihrer Hand. “Woher? Joe hätte niemals verraten …”
“Doch, das hat er”, unterbrach Sam sie. “Und er hat außerdem gedroht, es auf der ganzen Insel publik zu machen, falls Annie mit mir durchbrennen würde.”
“Das wusste ich nicht. Er hat mir geschworen, niemals die Wahrheit zu enthüllen, nachdem er und Martha dich aufgenommen hatten, Annie.”
Sanft legte Annie ihrer Mutter den Arm um die Schultern. “Warum hast du es mir nie gesagt? Hast du dich geschämt?”
“Nein! Um Himmels willen, Kind, was hätte ich nicht alles dafür gegeben, dich als meine Tochter anzuerkennen und aufzuziehen!”
Annie schluckte trocken. “Warum hast du es nicht getan?”
Tränen glitzerten in Myrtles Augen. “Joe hat dir also nicht alles erzählt?”
“Nein, nur dass ich eine Beaumont sei und du meine Mutter bist. Und dann hat er gedroht, dich der öffentlichen Schande preiszugeben, falls ich Sam heirate.”
“Und statt das zu tun, bist du zu mir gezogen.”
“Du bist doch meine Mutter”, flüsterte Annie. “Ich wollte bei dir sein.”
“Obwohl ich eine der gefürchteten Beaumonts bin?”
Stolz hob Annie den Kopf. “Das bin ich auch — durch meine Abstammung und meine Hochzeit.”
“Du bist aber auch eine Delacorte”, informierte Myrtle sie.
“Hast du etwa mit Joe ein Verhältnis gehabt?”
“Nein, Liebes, doch nicht mit einem verheirateten Mann! Joes Bruder William ist dein Vater. Dass wir uns liebten, wäre von beiden Familien nicht geduldet worden, obwohl William und ich erwachsen waren.” Myrtle lächelte. “Mit fünfunddreißig ist man sogar mehr als das. Trotzdem trafen wir uns nur heimlich und sind schließlich miteinander durchgebrannt. Der Ring, den du jetzt trägst, hätte mein Ehering werden sollen.”
“Ich werde ihn immer in Ehren halten”, flüsterte Annie und strich über den Goldreif.
Sam setzte sich neben Annie und legte ihr den Arm um die Schultern. Er verstand gut, wie aufgewühlt sie jetzt war. Fragend sah er Myrtle an. “Und bei eurer Flucht ist der Autounfall passiert?”
“Ja. Mir wurden die Beine zerschmettert, und William wurde getötet. Ich wachte im Krankenhaus auf, schwanger, unverheiratet und ohne den Mann, den ich liebte.” Sie schloss die Augen und wiegte sich vor und zurück, weil die Erinnerungen so schmerzlich waren. “Die Ärzte erwarteten nicht, dass ich durchkommen würde, und am liebsten wäre ich tatsächlich gestorben. Nur eins hat mich am Leben gehalten.”
“Ich?”, fragte Annie leise.
“Ja, du, mein Liebes.” Schweigend wartete Myrtle einen Moment, bis sie sich wieder gefasst hatte. “Joe und Martha besuchten mich im Krankenhaus, weil sie wissen wollten, warum ich bei dem Unfall mit William zusammen in einem Auto gewesen war. Als sie hörten, dass ich schwanger war, schlugen sie eine Lösung vor.”
“Adoption?”
Myrtle nickte. “Die beiden waren schon jahrelang verheiratet, hatten aber noch keine Kinder. Da sie damals auf dem Festland lebten, meinten sie, niemand auf der Insel würde merken, dass es nicht ihr eigenes Kind wäre.” Um ihre Lippen zuckte es. “Sie hielten es für die perfekte Lösung: Mein guter Ruf blieb gewahrt, Williams Kind würde legitimiert — und seine Abstammung von den bösen Beaumonts mit den Piraten unter ihren Vorfahren würde für immer ein Geheimnis bleiben.”
“Warum hast du dem Vorschlag zugestimmt?”, wollte Sam wissen.
“Die Ärzte sagten mir, ich würde nie wieder gehen können. Außerdem war ich doch Lehrerin. Ich hätte bestimmt meinen Job verloren.”
“Weil du eine alleinerziehende Mutter gewesen wärst?”, fragte Annie schockiert.
“Ja, vor fünfundzwanzig Jahren war das noch ein Makel. Wie hätte ich, im Rollstuhl sitzend und ohne Geld, ein Kind aufziehen sollen?” Myrtle stützte das Kinn auf die Hand, die den Stockknauf umfasste. “Ehrlich gesagt könnte ich noch mehr vernünftig klingende Ausflüchte finden, aber letztlich läuft es auf eins hinaus: Ich hatte Angst. Nicht um meinen Ruf, sondern um deinen, Kind.”
Annie versuchte zu lachen, scheiterte damit aber kläglich. “Jeder ist so besorgt um meinen
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