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Die letzte Kolonie

Titel: Die letzte Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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ihren Wünschen und Vorstellungen verwirklichen kann. Hier im Labor brauchen wir mehr Daten.

    Mit freundlichen Grüßen
Lt. Gretchen Schafer
Sektion Analyse (Psych), KVA-ADRI

1
Worte
    Worte genügen mir nicht.
    Da ist ein Missverhältnis zwischen meinen Gedanken und meinen Worten, zwischen Geist und Sprache; kein Missverhältnis in der Absicht, sondern in der Ausführung, ein Widerspruch zwischen der Blüte des Denkens und der Frucht des Mundes, zwischen dem Anstoß und der Vervollständigung. Ich sage, was ich meine, aber ich sage nicht alles, was ich meine.
    Jetzt spreche ich nicht zu dir. Diese Worte kommen weder über meine Lippen noch verlassen sie meinen Geist. Ich spreche sie nur zu mir selbst, bilde sie in vollkommener Ganzheit. Dann lege ich sie ab und schließe die Tür hinter mir. Vielleicht werden sie irgendwann von anderen gefunden, aber jetzt stehen sie nur mir gegenüber, spiegeln flüsternd die ausführliche Beschreibung meines Bildes. Golems, die die Worte des Lebens auf meine Stirn schreiben.
    Diese Worte sind mein Leben, dargestellte Zeit und gefälschte Gefühle, aufgelistete Verluste und gefeierte Siege. Sie sind nicht mein ganzes Leben. Dazu genügen keine Worte. Ganze Welten schlüpfen durch die Lücken zwischen den Worten und Buchstaben, wenn ein Leben zwischen den Sternen in diesen engen Raum gepresst wird. Dieses Leben ist ohnehin kurz genug. Und gleichzeitig lang genug, um in der Übersetzung verloren zu gehen.
    Aber es ist genug. Ein paar gezeichnete Striche, und wir sehen ein Gesicht und viel mehr als ein Gesicht. Wir sehen
das Leben darin, den Schrecken und den Zwiespalt, die Wünsche und die Hoffnungen – Absichten bilden ein Muster, eine Persönlichkeit als Anordnung von Linien. Darum geht es: Ein paar Linien, denen man folgt und die für sich genommen nur wenig bedeuten, aber einen klaren Weg ergeben, ein Kristallgitter, dessen Lücken das Vorhandene andeuten.
    Ich wünschte, ich könnte dir diese Worte zeigen, dir, der du nur den äußeren Ausdruck meiner Persönlichkeit kennst. Ich wünschte, ich könnte diese Worte zusammenfalten, in einen Umschlag stecken und dir mit einer Schleife überreichen – ein besonderes Geschenk von mir für dich. Aber diese Worte lassen sich nicht knicken – sie erlauben es einfach nicht. Aber es mag auch sein, dass ich nicht die Kraft finde, sie durch die Tür meines Mundes und meines Geistes nach draußen zu stoßen. Es sind hartnäckige Worte, und ich sorge mich, was geschehen könnte, wenn ich sie freilasse. Sie bleiben dort, wohin du nicht vordringen kannst; sie sind an dich gedacht, aber nicht an dich gesandt. Worte genügen mir nicht, und ich genüge ihnen nicht.
    Aber diese Worte existieren. Diese Worte berichten, diese Worte legen Zeugnis ab, diese Worte sprechen, auch wenn nur ein Mensch ihr Publikum ist. Diese Worte sind wirklich, und sie sind ich – oder die, die ich meiner Ansicht nach gewesen bin, unvollständig, aber wahrhaftig, ein dunkles Bild im Spiegel, aber ein naturgetreues Bild. Ich zweifle nicht daran, dass du eines Tages diese Worte finden wirst und dass du mich darin entdeckst: ein Same, der in deinem Geist keimt, um zu einer Rebe zu werden, die deine Erinnerung umrankt, wie ich war und wer ich für dich war. Worte genügen mir nicht, und trotz ihres Ungenügens werde ich wieder leben, und du wirst mich wieder lieben, wie du mich jetzt liebst.

    Du erinnerst dich nicht an deine Geburt, aber ich erinnere mich an meine. Ich erinnere mich an den plötzlichen Schock der Bewusstheit, wie sich die Wahrnehmung auf mich stürzt und von mir umarmt werden will. Ich wusste nicht genug, um etwas anderes tun zu können, als die Umarmung zu erwidern. Manchmal frage ich mich, ob ich eine andere Wahl gehabt hätte oder was ich getan hätte, wenn ich damals gewusst hätte, was ich jetzt weiß. Vielleicht hätte ich ihr einen Schlag verpasst und sie von mir gestoßen, damit sie jemand anderen belästigt und mich in meiner neugeborenen Alterung allein läßt, aus der ich nie erwacht wäre. Aber darin sind wir alle gleich, ob wir uns an unsere Geburt erinnern oder nicht: Keiner von uns wurde gefragt, ob er oder sie geboren werden wollte.
    Ich erwachte bei vollem Bewusstsein und mit einer Stimme im Kopf, die sprach: »Du bist Jane Sagan.« Und mit diesen Worten kam das elektrische Prickeln des Kontextes, die Beschreibung der Beziehung zwischen »du« und »bist« und »Jane« und »Sagan«. Die Worte setzten sich wie spontan erschaffene

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