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Die letzte Kolonie

Titel: Die letzte Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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Puzzleteile zusammen, ein Bild, das plötzlich Sinn ergab, auch wenn wir später feststellen mussten, wie sehr wir Puzzles verabscheuten.
    Doch die Worte waren gelogen. Ich war gar nicht Jane Sagan, ich war ein Wechselbalg, ein gestohlenes Geschöpf, das die Stelle einer anderen Person einnehmen sollte. Einer Person, die ich weder kannte noch jemals kennenlernen sollte, einer Person, von deren ganzem Leben nur ihre Gene übrig geblieben waren. Alles, was sie gewesen war und getan hatte, war auf einen langen Molekülstrang reduziert – Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin. Der Lochstreifen aus diesen vier Noten ersetzte die Symphonie gelebter Erfahrungen. Sie war tot, aber man ließ sie nicht ruhen, weil ich hier gebraucht wurde.

    Manchmal frage ich mich, ob sie vor mir in diesem Körper war, bevor mein Bewusstsein in diesen Kopf verpflanzt wurde, ob sie schlafend wartete, ob sie von ihrem vergangenen und ihrem künftigen Leben träumte. Ich frage mich, ob sie immer noch träumt, versteckt in den Zwischenräumen und Winkeln meines Geistes, die ich nie aufsuche. Wenn sie da ist, zürnt sie mir, dass ich ihren Platz eingenommen habe? Oder ist sie froh über meine Gesellschaft und betrachtet die Welt durch meine Augen? Ich kann es nicht sagen.
    Aber ich träume von ihr. Ich träume, wie sie und ich an ihrem Grab stehen, mit dem Grabstein zwischen uns, nahe genug, um uns zu berühren, obwohl wir es niemals tun. Und sie sagt: »Sprich mit mir.« Und ich tue es, versuche einer Frau, die nie gekämpft hat, das Soldatenleben zu erklären, beschämt, dass wir nichts außer dem Tod miteinander gemeinsam haben, über den sie bereits viel mehr weiß als ich.
    Doch sie lächelt, und ich weiß, dass sie es mir nicht missgönnt. Ich bitte sie, von sich zu erzählen, und sie tut es und spricht über ihr Heim und die Kinder und ein Leben voller Beziehungen – alles, was ich in meinem Leben nie gehabt habe, doch sie lässt mich gern daran teilhaben. Ich wache auf, und ihre Worte verflüchtigen sich, Einzelheiten verblassen und lassen tröstliche Erinnerungen zurück.
    Ich habe von ihr geträumt, bevor wir uns begegneten, aber davon werde ich dir nicht erzählen.

    Der Name »Jane Sagan«. Der Name selbst: bloße Worte. Der Vorname nichtssagend und gewöhnlich, der Nachname jener eines Wissenschaftlers, der auf ein besseres Universum hoffte als das, in dem wir leben. Was er wohl von der Frau halten
würde, die den Namen jetzt benutzt, und von ihrem Kosmos, wenn er noch leben würde? Könnte er die Schönheit in ihnen sehen – oder hätte er nur Geringschätzung für die Entropie in diesem dämonischen Universum übrig?
    Würde er seinen Namen zurückfordern, wäre das kein Problem. Der Name war ohnehin zufällig gewählt, aus einer Liste ausgesucht, die gewährleisten soll, dass ein Name nur einem Soldaten der Spezialeinheit gehört. Es wird keine zweite Jane Sagan geben, bis ich mein Leben in der Schlacht ausgehaucht habe, bis sich der Name von meinem Körper löst wie die Seele eines Buddhisten, um im Rad des Leidens wiedergeboren zu werden. Sie kehrt zurück und lernt nichts dazu, sie wiederholt die immergleichen Lektionen, während ihr Besitzer aus dem Leben in verschiedene Welten gerissen wird und doch die immergleichen Handlungen vollzieht.
    Mein Name ist zufällig, aber mit der Zeit habe ich ihn mir verdient. Ich wurde zu Jane Sagan, nicht durch die Launen der Konvention, sondern indem ich atmete, voranschritt, kämpfte und die Liebe entdeckte. All das modellierte die undifferenzierte Masse meiner Existenz, entfernte das, was ich nicht war, warf fort, was unwesentlich war, und manchmal auch das, was wesentlich war. Es verlangte von mir, zurückzuholen, was ich verloren hatte, oder den Verlust hinzunehmen – die Verringerung einer Persönlichkeit, die sich noch gar nicht vollständig definiert hatte.
    Ich verlor einiges von dem, was ich hätte sein sollen und für dich hätte sein können. Die Teile von mir, die ich anderen borgte, die mich dann verließen, ob freiwillig oder nicht, während sie sich ihre Namen verdienten, auch wenn sich dabei diese Namen von ihnen lösten, nachdem ihr Zweck erfüllt war – und jene, die die Namen einst bezeichneten,
verblassten bereits angesichts der Übermacht aus Knochen und Metall.
    Sie nahmen einen Teil von mir mit sich. Ich behielt einen Teil von ihnen zurück, bis ich schließlich ich wurde, als die Zeit gekommen war. Etwas von dem, was ich hätte sein können, wurde durch all das

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