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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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Fabrikat. Man musste schon einen Beamten mit gründlichen Geschichtskenntnissen erwischen, wollte man mit solch einem Gefährt dessen Arbeitseifer entfachen. Nichtsdestotrotz ging Rudy lieber kein Risiko ein und griff zum Mikrophon.
    »Liebe Leute, wir fahren gleich ein paar Kilometer durch Frankreich, und jetzt warten wir an der Zollkontrolle, wie ihr vielleicht schon gemerkt habt. Ich habe den Eindruck, dass sie sich heut ein paar Wagen zur gründlichen Inspektion herauspicken wollen. Wir haben natürlich keine Lust, hier zwei Stunden zu stehen, schlimm genug, dass wir bei der Abfahrt zwanzig Minuten verloren haben. Darum möchte ich euch bitten, und ich weiß, für einige unter euch ist das sehr hart, ich möchte euch also bitten: Versucht, so normal wie möglich auszusehen. Das heißt konkret: Guckt ein Zollbeamter herein, dann guckt freundlich zurück. Aber auch wieder nicht zu freundlich, sonst wird es verdächtig. Verstanden?«
    Martine, die mit den Gedanken kurz woanders gewesen war, fragte Wannes: »Was? Was hat er gesagt?«
    »Wir sollen versuchen, wie normale Menschen auszusehen!«
    Darauf ließ sie einen zweiten Schokoriegel in ihrem Mund verschwinden. Ein Ereignis, das Jimmy nicht unkommentiert lassen konnte.
    »Mama!«
    »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    (Wieso jetzt schon wieder , er hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gesagt!)
    »Mama, das ist schon der zweite Schokoriegel, den du aufisst.«
    »Ich muss in meiner Handtasche Platz machen. Schau lieber nach draußen. Da siehst du alles Mögliche, was es bei uns nirgends gibt.«

Kapitel 14
    O b zwischen beiden Ereignissen eine kausale Verbindung bestand, ist schwer zu sagen, doch kaum hatten unsere Reisenden die Grenze zum 57. Departement der französischen Republik überschritten, als von einem harten Kern der Truppe (als deren geistiger Führer sich mehr und mehr der Mann im Bierseidel-T-Shirt entpuppte) auch schon einige Flaschen hervorgeholt wurden. »Zwetschgenwasser! « Für den unbeleckten, der deutschen Sprache nicht mächtigen Touristen klang das beim ersten Hören wie »Wasser«, doch irgendwie sagte einem der Instinkt, dass ein Fisch in jener Art Nass keine halbe Sekunde überleben würde und Kühe bestimmt weit weniger tonsicher muhten, wenn sie ihren Durst damit löschten.
    Von ihrem Platz aus konnte Martine die Etiketten der Flaschen noch eben entziffern: »Korn«, »Kümmel«, »Steinhäger« stand darauf – doch obwohl sie zehn Jahre den alkoholgeschwängerten Atem eines preiswürdigen Trinkers ertragen hatte, sagten die Namen all dieser Spirituosen ihr nichts. Da sah man’s mal wieder, man lernte nie aus. Das einzige dieser Getränke, das sie kannte, war Jägermeister, mit dem sie manchmal ein Rezept für Crêpes Suzette abwandelte. Doch das war fast schon kein Alkohol mehr, eher ein Medikament; ein Mittel, mit dem man den Wattebausch tränkte, um einen kaputten, schmerzenden Zahn zu behandeln.
    Schielend vor Zahnweh jedoch sahen die Leute hier nicht aus, ganz und gar nicht, und trotzdem füllten sie in einem fort wacker die Gläser.
    Wannes und Martine bekamen immer mehr das Gefühl, in einer festen Gruppe gelandet zu sein, die in fast schon grauer, zweifellos in zig Dia-Abenden beschworener Vergangenheit zueinandergefunden hatten. Einer Clique von Kameraden, zusammengeschweißt durch die Kraft vieler gemeinsam erlittener Kater. Allem Anschein nach verspeisten sie Jahr für Jahr auch ihr Weihnachtsessen zusammen, und dies war längst nicht der erste Urlaub, den sie gemeinsam verbrachten. Wodurch es zweifellos schwieriger wurde, Kontakt zu ihnen zu knüpfen. Doch siehe da, aus ihrem Kreis erhob sich eine Frau – eher walkürenhafter Figur – und schenkte, eine Flasche und einen Stapel kleiner Plastikbecher im Arm, den Gang entlang allen großzügig ein. Auch Wannes und Martine, die ihre Chance auf Anschluss zur Gruppe nicht sofort verspielen wollten, indem sie die Einladung ausschlugen.
    Die edle Spenderin befahl: »Auf ex! So gehört sich das hier!«
    Man wusste, was es geschlagen hatte, wenn man etwas auf ex austrinken sollte. Der Grund war natürlich, dass man so einem Gesöff die Geschmacksknospen nicht lang aussetzen durfte. Aber okay, den Liebhabern solcher Destillate ging es in erster Linie auch nicht um den Geschmack.
    »Auf ex?«
    »Auf ex!«
    Einweihungsrituale sind selten angenehm. Wannes musste seine ganze Männlichkeit aufbieten und kultiviert ignorieren, dass seine Kehle in Brand stand. Das gelang ihm nicht ganz. Die

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