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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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vergeblich nach ihr Ausschau gehalten. Aus Angst, sich lächerlich zu machen, hatte er seine Mutter nicht gefragt, wo Héloïse und ihr Großvater blieben. Denn, tja, wo sollten sie sein? Vielleicht waren sie einfach vom Nachmittag noch satt, wollten sich der Dekadenz mehrerer Fressgelage pro Tag nicht aussetzen und waren auf ihrem Zimmer geblieben, froh und zufrieden, mit einem Glas Wasser. Oder sie hatten nur Halbpension genommen, um die Reisekosten zu senken. Ihr Großvater – wie viele Jahresringe mochte er zählen? – vertrug vielleicht solche großen Portionen nicht mehr. Wenn Jimmys Großmutter väterlicherseits, die fidelere von beiden, am Mittwochnachmittag mit ihren Freundinnen bei Törtchen und Kriek Karten spielte, hatte er, kleiner Kiebitz, das schon öfter gehört: Ein alter Magen verdaut nicht so schnell – und außerdem schlecht. Doch wie dem auch sei: Héloïse und ihr Großvater waren dem Abendessen ferngeblieben, und Jimmy hatte einen Anflug von Panik verspürt. Doch jetzt, wo sie ihm in ihrem todschicken T-Shirt zuwinkte wie, sagen wir, Lois Lane Superman, kurz bevor er hinter einem Wolkenkratzer verschwindet, konnte Jimmy all seine Sorgen wieder vergessen. Héloïse war kein Trugbild gewesen, und nachher – beim ersten Ausflug, der Besuch eines Kuckucksuhrenmuseums – könnte er im Bus wieder neben ihr sitzen. Was bedeutete, dass ihm nicht der ganze Urlaub von Erwachsenen vergällt werden würde, die ständig nur vom Essen redeten.
    Da fiel ihm plötzlich etwas ein: Würde seine Mutter, bei ihrer Obsession für alles, was gekaut und geschluckt werden konnte, sich endlich mal richtig schuldig fühlen, wenn er jetzt, nur so zum Spaß, Anorexie bekäme?
    Tatsächlich, sie schwafelte schon wieder vom Essen! Alle Umsitzenden bekamen zu hören, wie ihr Mann sein Abenteuer bei McDonald’s gebüßt hatte: mit einem Durchfall, den sie in den schillerndsten Farben beschrieb. Danach konnte sie es nicht lassen, sich selbst ausführlich zu loben, weil sie den von der NASA entwickelten Durchfallblocker eingepackt hatte, ein Hammermittel, das Wannes innerhalb weniger Sekunden nach Einnahme endlich vom Klo heruntergeholt hatte, so dass er wenigstens noch ein bisschen habe schlafen können, nicht wahr, und jetzt konnte er auch ohne Furcht seine Butterschnitten mit fingerdicken Schinkenscheiben belegen.
    Beeindruckend, all das Fleisch, das man hier zum Frühstück bekam!
    »Wir laufen mit offenen Augen in die Falle«, sagte einer, der es noch alles erlebt hatte. »40 bis 45 haben die Deutschen uns ausgehungert und den Krieg trotzdem verloren. Jetzt stopfen sie uns voll, und wir lassen uns ohne Protest mästen, bis wir umfallen! Das verstehe, wer will!«
    Bevor Jimmy sich neben Héloïse in den Bus setzen konnte und endlich von all dem Geschwafel erlöst wäre, mussten allerdings erst noch Ansichtskarten gekauft werden, fanden Wannes und Martine. Denn so gehörte sich das. Ansichtskarten kaufte man gleich nach der Ankunft, kritzelte sie voll und steckte sie in den Kasten. Denn der Reisende durfte nicht früher nach Hause kommen als seine Grüße, sonst sähe es so aus, als wäre er nur zwei Tage fort gewesen. Natürlich hatte man über den Urlaubsort noch gar nichts zu schreiben, denn den hatte man noch gar nicht gesehen, und so fanden die ersten entzückten Gespräche über »die wunder-wunderschöne Umgebung!« nur allzu oft an einem Kartenstand statt.
    Es war ja auch nur eine Aufmerksamkeit, so ein Gruß, bloß um zu sagen, dass man auch im Ausland an den anderen dachte. Was auf der Rückseite stand, war egal. Und weil es egal war, schrieb Martine immer dasselbe, das heißt, die wenigen Male, die sie schon verreist war: »Sonnige Grüße aus …« Auch wenn es regnete. Denn Schadenfreude durfte man den Zuhausegebliebenen nicht gönnen. Außerdem waren die Grüße sonnig, nicht das Wetter.
    Als Arbeiter sah Wannes sich nun mit dem Problem konfrontiert, dass die proletarische Tradition von ihm verlangte, den Kollegen eine Postkarte mit einem schwül dreinblickenden, sprich: nackten, affentittengeilen Weibsbild zu schreiben. Die Spinde in seiner Firma, der VW-Fabrik Vorst, waren gepflastert damit: Damen im Evaskostüm auf dem Bouleplatz, als sei barmösig Boule spielen die normalste Sache der Welt. Zu den Fotos gehörte gewöhnlich ein Spruch, in dem auf hinterlistige Weise das Wort »Boules« – »Kugeln« – verarbeitet war. Ein anderes Beispiel, auch aus der Wunderwelt des Pétanque: das Foto einer weder

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