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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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wäre, ein paar tausend Jahre zu leben.
    Natürlich hört das Träumen nie ganz auf, das wusste auch Martine, doch dadurch, dass sie ihre Phantasien jahrelang nur als Flucht aus einer unerträglichen Wirklichkeit kennengelernt hatte, kam ihr jetzt, vielleicht unter dem Einfluss der Frauenzeitzeitschriften und Psycho-Ratgeber, ihr neues Glück fragwürdig vor.
    Denn warum sollte sie von anderen Leben träumen, wenn ihr das, was sie jetzt hatte, gefiel?
    Sie liebte Wannes doch! Oder nicht?
    Liebte sie Wannes – oder das Glück, endlich ihrer Ehe entronnen zu sein, den Mut zur Flucht gehabt zu haben, was Wannes dann eher zu einem Mittel zum Zweck degradierte?
    Ach, all das Gegrübel … Es machte nichts, man musste nur wissen, wann es genug war. Sonst grübelte man sich all das Schöne noch völlig kaputt. Natürlich liebte sie Wannes! Und ihren Sohn, der gerade neben einem Mädchen saß, ihm zuhörte und strahlte. Sie freute sich, den Jungen so aufblühen zu sehen.
    Lang und hart war ihr Weg bis hierher gewesen. Doch sie hatte es geschafft. Sie war da.
    Sie ließ den Blick wieder nach draußen schweifen, auf eine Wiese, wo gerade eine Kuh mit dem Schwanz die Fliegen von ihrem rosigen Hintern verjagte. Und Martine fragte sich, wie es wohl wäre, an Stelle der Kuh dort zu stehen.

Kapitel 24
    K aum zehn Minuten und zweihundert Kuckucksrufe waren sie im Uhrenmuseum, als Wannes plötzlich ohnmächtig wurde und mit der Farbe einer Schauhausleiche zu Boden stürzte. Er hatte gespürt, wie der Anfall herankam, den kalten Schweiß, die plötzliche Atemnot, den Schwindel, die weichen Knie … und hatte gehofft, sich noch zwei Minuten auf den Beinen halten zu können. Die müssten genügen, um einen Stuhl zu finden. Hätte er ein Hemd angehabt, hätte er wenigstens einen Knopf lösen können, um mehr Luft zu bekommen, aber nein, er hatte sich ja unbedingt als Mann zeigen müssen, der mit der Zeit ging, sich tapfer neuen Sitten und Gewohnheiten stellte, und hatte am Morgen ein T-Shirt angezogen, in Farben, die der Designer zweifellos bei einem wilden LSD-Trip angerührt hatte. Der Hals dieses verfluchten Dings war außerdem viel zu eng. Er bevorzugte V-Ausschnitte, jetzt hatte er das Gefühl, erwürgt zu werden. »Best Montana« stand auf dem Shirt, er wusste nicht mal, was das bedeutete, wenn es überhaupt was bedeutete. Best Montana, vielleicht machte er sich damit rettungslos lächerlich bei den Polyglotten in ihrer Gruppe, die jetzt hier um ihn bei den Kuckucksuhren herumstanden.
    Schwarze Flecken tanzten ihm vor den Augen, rotteten sich boshaft zusammen, schwollen an und wieder ab, und ehe er sichs versah, lag er in Saal drei auf dem Rücken, mit offenem Mund die Decke anstarrend, umringt von einer Schar besorgt blickender Reisegenossen. Demütigend hatte er das gefunden, so schwach zu sein vor aller Augen, wehrlos der Sensationslust zum Fraß vorgeworfen zu werden.
    Die allgemeine Panik ließ nach, als Wannes sich aufrappelte und auf einen Stuhl setzte, den ihm ein Museumswärter gebracht hatte, zur leisen Enttäuschung vieler, für die – auch wenn sie das natürlich nie zugegeben hätten – ein Herzinfarkt eine willkommene Abwechslung gewesen wäre, in diesem insgesamt eher langweiligen Museum.
    Kuckuck. Kuckuck.
    Der Museumsdirektor war dazugekommen, und nur mit Riesenanstrengung konnte Wannes ihn davon abhalten, einen Notarzt zu rufen. Mit der berüchtigten deutschen Gründlichkeit musste man nämlich aufpassen: Eine kleine Ohnmacht, und hops! landete man für zwei Wochen zur Untersuchung in irgendeinem Universitätskrankenhaus. Eine Röntgenaufnahme hier, ein Abstrich da, und hinterher kriegte man eine gründlich gepfefferte Rechnung, von der die Reiseversicherung natürlich keinen noch so kleinen Teil übernahm, unter Verweis auf das Kleingedruckte im Vertrag. Nicht nur der Museumsdirektor, auch Martine fand, dass man kein Risiko eingehen dürfe. Doch Wannes versicherte ihnen, schwor beim Haupt seiner Mutter, dass alles in Ordnung sei, »nur ein kleine Ohnmacht«, die vielleicht, wie schon sein Durchfall, nicht wahr, mit dem französisch-amerikanischen »Hamburger von gisteren zu machen« hatte. Oder, ach ja, vielleicht auch das, die Luft in so einem geschlossenen Raum war ja immer ein bisschen drückend: Was man an Feuchtigkeit zum Schutz der Sammlung gewann, ging an Sauerstoff für den Besucher verloren. Nicht der Rede wert. Zehn Minuten Ruhe und ein Glas Wasser, und er sei wieder der Alte.
    Was Wannes Martine

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