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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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allzu hässlichen noch allzu betagten Boulespielerin, die das Anziehen am Morgen natürlich auch wieder vergessen hatte, zwei Bälle in der Hand, und darunter der Spruch: »L ’après midi on pointe, le soir on tire« – »Nachmittags zielt man, abends kommt es zum Schuss.« Nun ja … Es gab an den Schränken natürlich auch plattere Beispiele, die zeigten, dass nicht alle Nacktfotografen mit ihren Modellen die Bouleplätze unsicher machten. Details, die zur Humanisierung der Arbeitswelt beitrugen und die zu begrüßen waren. So wird man verstehen, dass Wannes seinen Kollegen nicht mit einer Karte mit Kuckucksuhrenmotiv kommen konnte. Die Gewerkschaft hätte das als Erschlaffen der Solidarität interpretiert.
    Martine verstand es.
    Das Angebot an nackten Schönen in diesem Souvenirladen war allerdings sehr begrenzt und eigentlich auch zu brav, um die Brüsseler Produktion von VW auf Touren zu bringen. Im Vergleich zu den Stränden von Alicante zum Beispiel war der Schwarzwald dem einfachen Arbeiter feindlich gesinnt. Doch Wannes war ein vernünftiger Mann, der stets mit den gegebenen Umständen umzugehen wusste – fand er übrigens auch selbst –, und er nahm eine Ansichtskarte mit einer so blonden wie blauäugigen Zenzi mit Zöpfen, nacktem Oberkörper – das zum Glück schon – und in jeder Hand zwei ausgewachsenen Bierkrügen. Der feinsinnige Text dazu lautete: »Wein, Weib und Gesang« (die Heilige Dreifaltigkeit laut Verseschmied Johann Heinrich Voss, der nach dieser Zeile – bis auf weiteres die berühmteste Drillingsformel der Literatur – nichts Bedeutendes mehr zu Papier bringen sollte).
    Gleich würde Wannes sich von seiner verwegensten Seite zeigen und hinten auf die Karte etwas über Rollmöpse schreiben. Weil sich das so gehörte. Um die Stimmung der Kollegen ein bisschen zu heben.
    Um Jimmy nicht auf schiefe Gedanken zu bringen, entschloss sich Wannes zu einer Erklärung. Er war schließlich sein Vormund, ein Mann mit Vorbildfunktion.
    »Denk jetzt bloß nichts Falsches von mir. So eine Karte mit einer nackten Frau drauf, das ist bloß zum Spaß – für die Kollegen an der Arbeit, verstehst du?«
    Jimmy verstand es. Er hatte sich übrigens auch eine Karte ausgesucht.
    »Was hast du da?«
    So eine dumme Frage. »Eine Karte.«
    »Eine Karte?«
    »Ja, eine Karte.«
    »Ein Karte für wen?«
    »Für meinen Vater.«
    Schrecklich hatte Jimmy es gefunden, die Fragen eines Mannes beantworten zu müssen, mit dem er gar nicht mehr reden wollte.
    Martines Hand schoss in ihre Handtasche, auf der Suche nach einem Stück Schokolade, obwohl sie genau wusste, dass sie alles schon am Vortag vertilgt hatte. Wannes drehte sich einmal – wie er meinte, ganz lässig – im Kreis, um zu sehen, ob zufällig jemand in der Nähe war, der dieses Gespräch hätte verstehen können. Am Ende gar – Gott behüte! – jemand aus ihrer Reisegruppe.
    »Du willst deinem Vater also eine Postkarte schreiben?«
    »Ja.«
    »Wenn ich dich richtig verstehe, willst du also dem Mann schreiben, der deine Mutter verprügelt hat, der immer besoffen nach Hause kam, sich nie für deine Schularbeiten interessierte …«
    »Ja.«
    »Okay, wie du willst. Aber du wirst verstehen, dass ich das nicht bezahlen kann. Ich hab nicht das ganze Jahr geschuftet, um meinen Lohn für Karten an besoffene Tyrannen auszugeben. Wenn du trotzdem so eine Karte schreiben willst, bezahl sie mit deinem eigenen Geld. Und die Briefmarke auch.«
    »Aber ich hab doch kein Geld!«
    »Das ist dein Pech. Kein Geld, keine Karte … Zeig mir das Ding überhaupt erst einmal!«
    Eins musste man zugeben: Jimmy hatte eine viel bessere Nase für Postkarten als Wannes, jedenfalls Postkarten nach dem Geschmack von dessen Nachtschichtkollegen. Ein riesiger, dunkel bewachsener Venusberg – meine Herren! »Der Ursprung der Welt« von Courbet, nur eben auf Deutsch. Und in goldenen, blinkenden Lettern darunter stand: »Schwarzwald«.
    Was sollte Wannes entgegnen? Er selber stand da mit der Abbildung einer drallen Oktoberfestschönen, nicht die beste Ausgangsposition für eine Sittenpredigt.
    Jimmy schaute demonstrativ auf die Postkarte, die ein immer röter werdender Wannes inzwischen bezahlte; dann sagte er: »Wannes, weißt du, was ein Deltiophiler ist?«
    » Wie redest du mich an?«
    »Herr Impens, wissen Sie, was ein Deltiophiler ist?«
    Beeindruckend, wie rot Wannes’ Kopf werden konnte! Damit ließ sich bestimmt noch viel Geld verdienen, irgendwann mal im Zirkus.
    »Nein,

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