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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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jedoch nicht gesagt hatte und auch nicht sagen wollte, war, dass er in letzter Zeit öfter solche Anfälle hatte. Schon vor ein paar Wochen, an seiner Arbeit. Schwitzen, Beklemmungen, Herzrasen – das volle Programm. Zehn Minuten hatten sie die Fertigungsstraße anhalten müssen, bis er wieder zu sich gekommen war. Der Vorarbeiter hätte ihn am liebsten zum Arzt geschickt, gewerkschaftlich organisierte Kollegen rieten ihm, sofort nach Hause zu gehen, sich ins Bett zu legen und dort die Errungenschaften zu genießen, für die die sozialistische Vorhut seinerzeit blutig gekämpft hatte. Doch Wannes dachte gar nicht daran. Ihm fehlte nichts. Er rauchte nicht, trank kaum Alkohol, verbrannte eventuell schädliche Fette jeden Sonntagmorgen beim Radfahren und aß täglich sein Stück Obst. Was hätte ihm fehlen sollen, in seinem Alter? Er war doch kein Hypochonder! Eine kleine Konditionsschwäche, ganz schnell vorüber, mehr nicht, das konnte den Fittesten passieren.
    Selbst eine Woche darauf, als er im Supermarkt wieder zusammensank und sich am Waschpulverregal festklammern musste, hatte er sich eingeredet, es sei nur eine Kleinigkeit und sonst nichts. Eine Laune des Zuckerspiegels … irgend so was. Nun aber begann er sich doch langsam Sorgen zu machen. Dreimal in relativ kurzer Zeit hatte er schwarze Flecken vor den Augen gesehen, das ließ sich nicht so leicht ignorieren.
    »Das ist das erste Mal, dass mir so was passiert«, behauptete er mit einer insgesamt noch recht guten schauspielerischen Leistung. Denn das war jetzt das Wichtigste: Martine nicht beunruhigen.
    »Das war bestimmt das McDonald’s.«
    »Schatz, mein Körper hat heute Nacht so viel von sich gegeben, dass jeder Darmspezialist sich wundern würde, überhaupt noch irgendwas von dem Hamburger zu entdecken.«
    Das stimmte auch wieder.
    »Ich denke, du hast einfach zu wenig Eisen. Blutwurst essen, Liebling, Blutwurst, das ist das Beste. Spinat enthält auch Eisen, aber längst nicht so viel wie Blutwurst.«
    Migräne und Hyperventilation waren die Modeworte jener Tage. Ersteres vor allem für Frauen, die für ordinäre Kopfschmerzen sozial zu hoch auf der Leiter standen; Letzteres ein medizinisch veredelter Begriff für affektiertes Getue, eine eingebildete Krankheit für Leute, die dem Druck des Alltags von ihrem Charakter her nicht standhielten. Diese Gruppe verschmutzte den Wortschatz des einfachen Mannes zudem mit dem Wort »Stress«, was prompt ein noch größeres Modewort wurde. Um dazuzugehören, musste man Stress haben. Stress, Stress, Stress. Und um diesen Stress zu bekämpfen und doch noch dazuzugehören, musste man Yogaunterricht nehmen.
    Wannes dachte an das alberne Gespräch, das ihm mit seinem Hausarzt bevorstand, während der ihm den kalten Stahl des Stethoskops an die Brust hielt. Gefasel des modernen Mannes mit psychosomatischen Wehwehchen.
    Kuckuck. Kuckuck.
    Ganz meschugge wurde man hier im Museum, wo die Uhren mit Absicht so eingestellt waren, dass in jedem Moment mindestens ein Schlagwerk die nächste Stunde in den Orkus bimmelte. Eigentlich gab es keinen unpassenderen Ort für eine körperliche und geistige Auszeit. Hätte der Besucher alle geschlagenen Stunden hier wirklich durchleben müssen, er käme als tatternder Greis wieder heraus. Ticketacke ticketacke, kuckuck, kuckuck, doing, doing, bim bam, bim bam. Es bimbambummte einem unaufhörlich ins Hirn. Und das nur, weil hier einst, der Überlieferung nach – der man natürlich nie glauben durfte – ein armer Tropf von Uhrmacher irgendwo im Wald einen armen Tropf von Kuckuck gefunden und den Vogel mit nach Hause genommen hatte, so dass sie, wie arme Tröpfe es tun, in herzlichem Einvernehmen fröhlich zusammenlebten, wobei der Kuckuck seine Tage in der Werkstatt verbrachte und zufrieden auf den unverkauft bleibenden Uhren des Handwerkers saß, was über ein paar kreative, nicht näher mehr zu ermittelnde Gedankenblitze des Handwerkers zuletzt zur Erfindung der Kuckucksuhr führte.
    Bestimmt wurde auch in anderen Gegenden Europas die Wirtschaft mit einer gleichlautenden Fabel angekurbelt, wenngleich der Kuckuck dort aus urheberrechtlichen Gründen kurzerhand durch die Jungfrau Maria ersetzt worden war.
    In der Museumscafeteria hatte Martine, ergeben und liebend wie immer, Wannes gleich was zu essen geholt. Um sich die Wahl zwischen Göttinger und Regensburger, zwischen Kasseler Leberwurst, Nürnberger Rostbratwürsten, niedersächsischer Grützwurst, Bockwurst oder westfälischen

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