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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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Kinderzimmer!«, krähte sie. »Was meinst du?«

Kapitel 25
    S chlecht isoliert konnte man Türen und Wände des Gasthofs Knusperhaus nicht gerade nennen, doch den Inhalt leidenschaftlicher Diskussionen mussten sie der Außenwelt trotzdem preisgeben.
    Im Kopf noch immer leicht bedröhnt von einem zu langen feucht-fröhlichen Abend, schlurfte Busfahrer Rudy den Flur entlang Richtung Frühstücksraum, als er plötzlich vor Zimmer 24 akustischer Zeuge eines ausgewachsenen Streits wurde. Geschrei und Gekreisch, dann die gellende Stimme eines Kindes: »Du bist aber nicht mein Vater!«
    Es war mal wieder so weit: Der dritte Tag war angebrochen!
    Aus Erfahrung wusste der Busfahrer, dass für die meisten Kunden Tag drei oft der schwierigste war. Selbst Paare, die sonst das ganze Jahr über nicht stritten, kriegten sich an Tag drei eines Urlaubs unversehens in die Haare. Worte flogen hin und her, dabei auch häufig sehr falsche, die sich danach nur schwer wieder vergessen ließen. Die Frauen zerheulten sich das Make-up und brauchten eine Renovierungsaktion vor dem Spiegel, bevor sie es wagten, sich zum Abendessen für einen Teller saure Kutteln – eine schwäbische Spezialität – am Buffet anzustellen. Meist trank man dazu ein gepflegtes Glas Gutedel, rund auf der Zunge und freundlich zum Kopf am nächsten Morgen, und alles renkte sich wieder ein. Aber dennoch: Es hatte eine Stunde gegeben, in der man den Fotoapparat besser eingepackt ließ.
    Manchmal fragte man sich bei van Boterdael, ob es vielleicht am Programm lag. An Tag drei der Schwarzwaldtour fuhr die Gruppe traditionell immer nach Freiburg, eine recht große Stadt mit entsprechendem Verkehr und Gestank. Nun waren die Kunden, die Reisen buchten wie diese, nicht unbedingt begeisterte Stadtmenschen. Trotzdem konnte man unmöglich den Schwarzwald besuchen, ohne in dessen Hauptstadt gewesen zu sein. Man stelle sich die Gespräche hinterher vor: »Oh, Sie sind im Schwarzwald gewesen. Toll! Und – wie hat Ihnen Freiburg gefallen? Bitte? Sie sind nicht in Freiburg gewesen? Na sagen Sie mal, Sie waren im Schwarzwald und sind nicht nach Freiburg gefahren? Was haben Sie denn dann überhaupt dort gesehen?« Man weiß, solche Klugschwätzer gibt es viele, und überall liegen sie auf der Lauer. Die Konfrontation mit so einem Kerl konnte van Boterdael seinen Kunden nicht antun. Außerdem war mit Freiburg an sich auch alles in Ordnung, und den sich in Superlativen überbietenden billigen Reiseführern zufolge hatte die Stadt den schönsten Kirchturm der Christenheit. Man musste ein ausgewachsener Kulturbarbar sein, wenn man für einen solchen Höhepunkt der Architektur nicht wenigstens einen von mehreren Nachmittagen voll blökender Schafe und rauschender Wälder freimachen wollte. Und so plante van Boterdael zuletzt jedes Jahr doch wieder einen Tag Freiburg ins Schwarzwaldprogramm ein.
    Dass Einkaufsstraßen auch auf Reisen die Nerven manches Ehemanns auf eine harte Probe stellen, ist sattsam bekannt. Vor unzähligen Ladentüren sieht man sie stehen, lethargisch wartend, an die Wand gelehnt. Bis Madame wieder erscheint. Und weil das Prüfen des Angebots oft in Kaufen endet, kommt sie bewaffnet mit Schachteln und Taschen heraus sowie der Entschuldigung, dass die erstandenen Dinge in der Heimat nicht zu bekommen seien oder doch nicht zu einem solch sensationell günstigen Preis.
    Städte: Überall Bettler, die dem Gewissen keinen Urlaub gönnen, Imbissbudenbesitzer, die einen dazu verführen wollen, gegen ein diätetisches Gebot zu verstoßen, tödlich gelangweilte Kinder, die quengeln, bis sie ein Eis kriegen, das in neun von zehn Fällen doch sofort auf dem Boden landet. Man brauchte, kurzum, schon ein elefantengleich dickes Fell, um bei all diesen Dingen die gute Laune nicht zu verlieren.
    Ein ständig wiederkehrender Diskussionspunkt bei van Boterdael war, ob Freiburg dann lieber auf einen späteren Tag des Programms verlegt werden sollte. Auf den vor der Abreise zum Beispiel, wenn die ausgeruhten Reiseteilnehmer langsam Entzugserscheinungen bekamen und sich nach einer guten Lunge voll Abgasen sehnten.
    Zufriedenheitstests, etwas, worin man van Boterdael mit Fug und Recht Pionier nennen konnte, zeigten auf jeden Fall, dass den Kunden Freiburg immer sehr gut gefiel. Die lieblichen, klinkergepflasterten Straßen und windschiefen Häuser hatten einen unauslöschlichen Eindruck auf sie gemacht. Alle Hektik, die mit einer Zweihunderttausendeinwohnerstadt einhergeht, schien

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