Die Letzte Liebe Meiner Mutter
im Kopf hin und her, und es gefiel ihm. Philosoph – wahrscheinlich ein Beruf, bei dem man sich keinen Wecker stellen musste.
Kapitel 27
W enn schon der Verzehr eines Stücks Kuchen das allgemeine Wohlbefinden steigerte, und das war eigentlich nicht zu bestreiten, dann musste regelrecht euphorisch werden, wer ein Stück deutscher Torte verputzte. Kolossale Gebäude aus Schlagsahne und Biskuit, Kathedralen aus Eischnee, Zucker und Krokant, die allesamt zeigten, dass die Geschichte nicht verfälschte, wer die Architekturpläne Speers im Lichte der germanischen Konditoreikunst betrachtete. Beeindruckend, wie diese Torten trutzig und prunkend auf dem Teller lagen, in verschiedenen Schichten von je tausend Kalorien übereinander, treudeutsch und echt, kaum verdaulich, doch ach so verführerisch.
Solch ein Stück Torte hatte Martine sich verdient, fand sie selbst, nur schlechte Menschen versagen sich jede Freude, und ein Zittern ging durch ihren Leib, als der erste von vielen Löffeln Buttercreme ihren Gaumen berührte. Das einzig nicht ganz Vollkommene an diesem Moment war, dass er sich nicht hatte vorausahnen lassen. Wie viel erträglicher wäre ihr früheres Leben gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass dieses Glück ihrer harrte? Es hätte sie bestimmt getröstet zu wissen, dass sie es noch mal erleben würde, mehr Frau als Lumpen zu sein, als solche geliebt zu werden und in aller Gemütsruhe ein Stückchen, oder sagen wir lieber, ein Riesenstück Torte verknuspern zu können, in einem beschaulichen Dorf irgendwo, einer kleinen Zweigstelle des Himmels, im Urlaub. Die Schläge, die sie von ihrem Säufer von Mann hatte einstecken müssen, wären darum nicht weniger schmerzhaft gewesen, die Beulen auf ihrem Kopf nicht weniger dick, doch eine Quelle der Zuversicht hätte zu sprudeln begonnen, und das Verstreichen der Zeit wäre vom Elend zur Freude geworden.
Sie schaufelte den nächsten hinunterzuschlingenden göttlichen Bissen auf ihre Gabel (»Kauen«, hatte ihr Arzt schon öfter gesagt, »besser kauen, Mevrouw Withofs, und Magen und Darm halten dreimal so lang«) und dachte mit glänzenden Augen an das, was Wannes am Morgen zu ihr gesagt hatte: Er wolle den Führerschein machen!
Damit wäre ihr Mann nicht nur freundlich und pflichtbewusst, nein, einen Führerschein hätte er auch noch!
»Ohne Auto kommt man heut nicht mehr aus«, hatte er entschieden gesagt. »Wer eine Familie hat und für sie sorgen will, muss einen Führerschein haben – Punktum!« Und der Wind blies eine Spur Paco Rabanne von Wannes’ Wange zu ihr.
Als Arbeiter bei Volkswagen konnte er mit einem Rabatt auf ein nagelneues Auto rechnen, das war schon nicht schlecht. Ansonsten gab es auch noch den Gebrauchtwagenmarkt, wo eine einfache Kiste zu kriegen sein müsste. Und wahrscheinlich würde er sich als Autofahrer auch mehr mit seinem Beruf identifizieren, wenn er das Produkt, das er täglich zusammenschraubte, endlich auch selber benutzte.
Ein Auto! Ein eigenes Auto! Nie mehr auf den Bus warten, der zuletzt doch nur wieder ausfiel, nie mehr Kartoffelsäcke auf dem Rad transportieren, wo sie aufplatzten oder rissen, nie mehr mit Kettenöl an den Händen zu einem Bewerbungsgespräch kommen. Und sonntags wie jeder anständige Bürger mit Gartenschlauch und Staubsauger auf der Straße stehen dürfen, tote Insekten von der Windschutzscheibe kratzen, mit schäumenden Schwämmen den Glanz auf die Felgen zurückzaubern.
Ein Abglanz des Glücks – und das war noch vorsichtig ausgedrückt, aus Aberglauben.
Sie hatte einen Seufzer loslassen wollen, einen großen, oder frei ihre Freude hinaussingen, wie man das im Musical macht, inklusive Tanzsprüngen und gymnastischer Übungen an Laternenpfählen. War ihr eigentlich klar, wo sie war? Machte sie sich den Augenblick richtig bewusst? Sie musste sich befehlen: »Kneif dich in den Arm, schau dich um, auf die herrliche Landschaft, die zwitschernden Vögel und auf die Bäume, wo das ganze Gezwitscher veranstaltet wird. Denn das ist alles echt!« Und so schaute sie denn auf zum Himmel, wie gemalt mit Buntstift Nr. 161 aus dem Sortiment von Caran d’Ache, und sie erkannte, dass der liebe Gott sie geprüft hatte, doch dass nun endlich die Zeit der Gnade da war. Sie spürte die Sonne auf ihren Armen angenehm brennen, noch ohne jeden Gedanken an Hautkrebs – denn daran dachte damals noch niemand, wenn er sich einen Sonnenbrand holte –, leckte sich die Mundwinkel und nippte an ihrem Kaffee.
»Mama?«
»Ja,
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