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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dimitri Verhulst
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Bienchen und Blümchen brauchte man ihm nicht mehr zu kommen. Er hatte den kompletten Body Mass Index seiner Mutter gesehen und alles, was ein Mann damit anstellen kann. Zu früh und zu oft gingen alle zarten Gefühle in diesem verfluchten Haushalt kaputt.
    Später, als sein Vater sich im Bett einzumachen begann, ein Punkt, den viele Triebtrinker erreichen, hatte Martine alles versucht, den Anblick vor ihrem Sohn zu verstecken. Widerwillig im Grunde, denn oft hätte sie am liebsten zu Jimmy gesagt: »Da, schau ihn dir an, das ist dein Vater, jetzt pisst und scheißt er im Schlaf, weil er Abend für Abend mit seinen Freunden Karten und Billard spielen muss.« Wie sie in der letzten Phase der Ehe auch am liebsten gesagt hätte: »Da, das ist dein Vater, er kriegt keinen mehr hoch.« Denn wer sich kaputtsäuft, tut das meist Schritt für Schritt. Erst den Magen, dann die Schließmuskel, dann die Potenz und zuletzt die Bauchspeicheldrüse …
    Mein Gott, die Nächte, in denen sie Kotze und Scheiße wegwischen musste, Lappen und Schwamm schwingend neben dem Bett, in der Hoffnung, dass das Kind tief genug schliefe, davon nichts zu merken. Selbst als Martine schließlich bei anderen Männern Befriedigung suchte, fünf an der Zahl, hatte sie es nicht völlig vor Jimmy geheim halten können, und nicht ganz ohne Grund fürchtete sie, dass er mit einem Menschenbild, das sich aus Huren und Säufern zusammensetzte, die Schwelle zum zehnten Lebensjahr überschritt.
    Das Schicksal hatte sich dem Kleinen von seiner hässlichsten Seite gezeigt, und was in seiner Kindheit zerbrochen war, war wohl auch nicht mehr zu kitten. Und trotzdem hatte Martine ein für alle Mal genug davon, ihr Kind zum Anblick solcher Szenen zu zwingen.
    »Aber er schläft doch!«, drängte Wannes erneut.
    Den letzten Sex hatten sie vor dem Urlaub gehabt; für den nächsten müsste er warten, bis sie wieder zu Hause wären. Außer, er würde jetzt gleich von allein explodieren, dann wäre sein Problem natürlich auch gelöst. Kein Wunder, dass sich da mancher Urlauber nach der Arbeit zurücksehnte, dem täglichen Trott, den Geräuschen des Staubsaugers, dem Bus von vier vor sechs, dem Abwasch und den Penaten. Camper weltweit machten diese Erfahrung, Eltern, die mit ihren Sprösslingen frohgemut den engen Caravan bestiegen und dann wochenlang keine Chance mehr hatten, ungestört miteinander zu pimpern. Doch auf solche Rücksichtnahme pfiff Wannes. Er wollte vögeln. Vogelare, oh-ho, cantare, oh-ho-ho-hoh. Es stand ihm zu. Und zwar sofort.
    »Aber der Kleine schläft doch, Martine, ich hör ihn schnarchen bis hier!«
    »Ja, er hat’s gut. Ich versuch auch zu schlafen, aber es lässt mich ja keiner!«
    Und er drehte sich um, schmollend und grollend, beleidigt. Ein Kind, und nicht mal seins, stand zwischen ihm und seiner Geliebten. Es gab friedlichere Gedanken, mit denen man einschlafen konnte.

Kapitel 29
    W er je als Kind am Titisee gewesen war und als Erwachsener dorthin zurückkehrte, begann ernsthaft an seinem Gedächtnis zu zweifeln. Was sich der Erinnerung all die Jahre gern als eine gigantische, von Bergen umringte Wasserfläche präsentiert hatte, stellte sich plötzlich als besseres Baggerloch heraus, wie man sie überall in Europa in Freizeitparks aushob, um der darbenden Konjunktur einer sterbenden Region einen letzten Elektroschock zu versetzen. Die seichte Lache war umgeben von Bowlingbahnen und Aalrestaurants, wo ortsansässige Jugendliche in Praxisprojekten die Chance erhielten, mit dem Verkauf von Waffeln oder Vermieten von Minigolfschlägern ihrem Leben einen höheren Sinn zu geben. Die Goldküste der BRD, wie man, auch in Deutschland selbst, spöttisch sagte. Und eine Goldgrube war es bestimmt, für Leute, die mit verborgenen Verführungen handelten oder Handel trieben schlechthin: die Schnellporträtisten, die Touristen den Trost verschafften, dass man sich immer noch hässlichere Versionen der eigenen Visage vorstellen konnte und dass die Wirklichkeit manchmal doch schöner war, als was ein Bleistift daraus machte; die Parkplatzwächter, die den fassungslosen Autobesitzern ein Vermögen abknöpften für ein paar Quadratmeter heiß begehrter Leere; für die Cafés und Stände, die die einzig echte und wahre Bratwurst oder Kirschtorte anpriesen, die Verkäufer plüschener Störche, die Kellnerinnen, die die Authentizität ihres Biers unterstrichen, indem sie es mit tiefem Dekolleté servierten …
    Und mitten auf dem See schaukelte Jimmy,

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