Die letzte Minute: Thriller (German Edition)
französischen Klinik. Sie war eine groß gewachsene Frau mit breiten Schultern und der Haltung einer Athletin, aber anmutig. Die Männer drehten sich nach ihr um, während sie durch die Menge schritt. Sie trug eine schwarze Jeans, eine farbenfrohe Bluse und einen silbernen Halsreif. Sie kam jedoch nicht vom Eingang, sondern durch die Tür, die zu den Toiletten führte. Möglicherweise hatte sie das Haus durch einen Hintereingang betreten. Sie war um die dreißig, hatte rabenschwarzes Haar und ein hartes, kaltes Gesicht, das zwar schön geschnitten war, aber keinerlei Wärme oder Freundlichkeit ausstrahlte.
Ich rührte mich nicht, als sie sich mir gegenübersetzte. Ich stand nicht auf.
Das war die Frau, die meinen Sohn gestohlen hatte. Am liebsten hätte ich den Tisch umgeworfen und sie an ihrem elfenbeinernen Hals gepackt, bis sie mir sagte, wo Daniel war. Der Moment würde kommen. Jetzt musste ich erst einmal die Falle stellen.
» Mr. Derwatt?«
» Ja, hallo. Ms. Tremaine?«
» Ja.«
» Ihr Drink.« Ich deutete auf den Martini, den sie als Erkennungszeichen verlangt hatte. Er war inzwischen zu warm. An den drei Oliven sollte sie von mir aus ersticken, sobald sie mir gesagt hatte, wo Daniel steckte.
» Das war nur zum Erkennen gedacht. Ich hätte gern eine Flasche Amstel Light, und bitte sagen Sie dem Kellner, er soll sie am Tisch öffnen.«
Sehr vorsichtig. Sie wollte nicht riskieren, dass ihr irgendeine Droge ins Bier gemischt wurde. Ich winkte dem Kellner und gab die Bestellung weiter. Ich bemühte mich um eine ruhige Stimme. Für sie war das eigentlich ein geschäftliches Treffen, doch sie verhielt sich, als könnte es eine Falle sein. Was ja auch zutraf.
» Ihre Frau ist nicht da?«, fragte sie mit sanfter Stimme. Man würde vielleicht annehmen, dass eine Frau, die mit Babys handelte, wie die alte Hexe aus dem Märchen sprach. Sie klang jedenfalls gebildet. Nur ein leichter französischer Akzent, so als würde sie hauptsächlich Englisch sprechen.
» Meine Frau ist ziemlich nervös wegen der Sache. Sie ist oben. Sie möchte sich weiter um eine normale Adoption bemühen, aber …« Ich zuckte mit den Schultern. Spürte, wie mir der Schweiß über den Rücken lief und meine Achseln befeuchtete. In einem Kampf wurde ich nie so nervös. Da hatte ich immer einen ganz klaren Kopf und wusste jederzeit, was getan werden musste. Das hier war schlimmer als ein Marsch durch ein Minenfeld. Doch sie war hier in meiner Bar, auf meinem Terrain, und sie würde nicht hinausgehen, ohne mir zu sagen, wo mein Sohn war.
Der Kellner brachte ihr Amstel. Er öffnete die Flasche am Tisch, und sie bedankte sich. Nachdem er weg war, nahm sie erst einmal einen kräftigen Schluck. » Ihre Frau ist nicht oben. Ihre Frau, eigentlich schon Ihre Exfrau, liegt in einem CIA -Krankenhaus in Bethesda, Maryland, im Koma, aus dem sie höchstwahrscheinlich nicht mehr erwachen wird. Sie ist nicht deshalb Ihre Ex, weil Sie ein Arschloch sind und sich von Ihrer todkranken Frau getrennt haben, sondern weil sie eine Verräterin ist, die Ihnen zwar das Leben gerettet hat, Sie dann aber umbringen wollte, als Sie sie verfolgt haben. Sie hat sich auf die falsche Seite geschlagen und den Preis dafür bezahlt.«
Ich sah ihr unverwandt ins Gesicht. Okay. Anna Tremaine war also nicht dumm.
» Sie heißen auch nicht Frank Derwatt, sondern Sam Capra.« Sie nahm einen kleinen Schluck Bier. » Sie klettern gern in leeren Häusern herum, wenn Sie uns gerade mal keinen Ärger machen.«
Okay. Dann also ohne Maske. » Wo ist mein Sohn, Anna?«
» Sehen Sie, ich weiß mehr über Sie als Sie über mich. Ich heiße gar nicht Anna.«
» Wo ist mein Sohn?« Ich beugte mich vor und stellte mich darauf ein, notfalls die Browning unter meinem Jackett zu ziehen. Es war mir egal, ob ich eine Panik in der Bar auslöste. Sie würde es mir sagen.
» Vor einer Stunde hat ein Freund von mir ein halbes Pfund C-4-Plastiksprengstoff in der Damentoilette versteckt«, erwiderte sie mit einem verschlagenen Lächeln, im gleichen Ton, als würde sie sagen: Gefällt mir, was Sie aus dem Lokal gemacht haben. » Ich kann jederzeit den Knopf drücken. Wenn Sie die Hand gegen mich erheben, geht diese Bar hoch, mit allem, was drin ist.« Sie blickte in die Menge der Gäste, die sich nichtsahnend amüsierten, tranken und lachten. » Es wäre kein großer Verlust. Diese Leute sind unwichtig, sie erfüllen keinen wirklichen Zweck.«
» Wie zum Beispiel, Kinder zu verkaufen.« Ich
Weitere Kostenlose Bücher