Die letzte Nacht
beiseiteschieben. Dann nahm er den Hörer und legte sich in die Hängematte vor dem Fenster. Francesca hob nach dem ersten Klingeln ab.
»Ja bitte!?«
»Contini am Apparat.«
»Ach, Contini, hallo!«, rief Francesca. »Was machst du heute, bist du zu Hause?«
»Ich arbeite für meinen Freund, du hast ihn neulich Abend kennengelernt.«
»Ach so.«
Contini musste lächeln. Francesca hatte gelernt, am Telefon nicht zu viel zu sagen. Aber er würde ihr später alles erklären. Für diesen Tag hatte er ein Treffen in Locarno geplant: mit jemandem, der jemand anderen kannte, der Marelli in den letzten Tagen gesehen hatte. Nun gut, dieser verdammte Banküberfall musste sein. Aber Marelli im Auge zu behalten war keine schlechte Sache, fand Contini.
»Bist du in Locarno?«, fragte er Francesca.
»Ja, ich schaffe ein wenig Ordnung.«
»Vielleicht schau ich vorbei.«
»Willst du nicht zum Essen kommen?«
Francesca lebte in Locarno. Manchmal blieb sie bei Contini, aber hin und wieder ließ sie ihn auch in seinem eigenen Saft schmoren.
Contini nahm die Einladung an: Sie verabredeten sich für halb eins an der Piazza Grande.
Als das Gespräch beendet war, blickte sich Francesca um. Die Wohnung sah aus wie ein Schlachtfeld. Überall übereinandergestapelte Bücherkartons. Auf dem Tisch türmten sich Geschirr und Gläser. Das ist immer so, wenn die Dinge aus zwei Wohnungen in einer zusammenkommen.
In der Küche lagen mehrere Nudelpäckchen, Tomaten, ein Blumenkohl, Karotten, Salat und ein bisschen Käse. Sie würde schon irgendwie eine Mahlzeit zustandebringen. Die Tatsache, ein bisschen in Mailand, ein bisschen in Locarno und ein bisschen in Corvesco zu leben, gab ihr manchmal das Gefühl, eine Nomadin zu sein. Dabei waren es immer nur ein paar Kilometer.
Aber mit Mailand habe ich abgeschlossen, dachte sie, während sie das Geschirr aufeinanderstapelte, um es in der Anrichte zu verstauen. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl sie nur eine kurze Hose und ein T-Shirt trug, schwitzte sie. Ende August war die schlimmste Hitze zwar schon vorbei, aber nach dem Filmfestival und der Touristenschwemme sonnte sich Locarno noch genüsslich in einer Reihe warmer Tage.
Nachdem sie die Tischplatte freigelegt hatte, kramte sie ganz unten aus dem Schrank ein Tischtuch hervor. Sie deckte für zwei. Dann schob sie die Kartons in eine Ecke des Wohnzimmers. Zuletzt sah der Raum wieder halbwegs wohnlich aus. Francesca duschte und zog ein hellgelbes Kleid mit kurzen Ärmeln und knielangem Rock an.
Die Palmen am Seeufer wirkten ein wenig mitgenommen, als würden sie bereits den nahenden Herbst erahnen. Aber die Touristen wuselten noch immer in Scharen durch die Straßen der Innenstadt. Vom Largo Zorzi kommend, bog Francesca in die Via delle Panelle und von dort in die Via della Gallinazza. Sie liebte es, von oben auf den Platz zu gelangen, durch das Gewirr der Gässchen, die sie an das aufgeregte Treiben hinter den Kulissen eines großen Theaters erinnerten.
Offene Eingangstore und stille Innenhöfe, die nur durch den Strahl eines Brunnens belebt wurden. Läden, die Kuriositäten und afrikanisches oder lateinamerikanisches Kunsthandwerk anboten, Restaurants, die ihre Tische sogar unter der Regenrinne platzierten. Ecken, die eigens hergerichtet waren, um Touristen in den Bann zu ziehen, und Schmuckverkäufer unter den Arkaden. Francesca liebte es herumzustöbern, Gesprächsfetzen aufzuschnappen und Ausschnitte aus dem Alltagsleben zu erhaschen. Vielleicht war auch sie eine Schnüfflerin, wie Contini. Vielleicht verstanden sie sich deshalb so gut.
Sie lief die Via Marcacci hinunter. Contini wartete in einer Bar gegenüber des Rathauses auf sie. Oder besser gesagt, er war dort mit jemandem ins Gespräch vertieft, den sie nicht kannte. Francesca wartete, bis sie ihre Unterhaltung beendet hatten, und trat dann von hinten an Contini heran.
»Ist hier frei?«
»Vielleicht«, antwortete er, bevor er sich umdrehte. »Sind Sie auch frei?«
Francesca lächelte und bückte sich, um ihm einen Kuss zu geben, bevor sie Platz nahm. Contini winkte den Kellner heran.
»Mit wem hast du gerade gesprochen?«, erkundigte sie sich.
»Ein Freund von Matteo Marelli«, antwortete Contini. »Was magst du trinken?«
Sie bestellten einen Viertelliter Merlot Rosé. Vor ihnen strahlte die Piazza Grande in der Sonne. Eigentlich war es weniger ein Platz als vielmehr ein Strand, ein riesiger, klaffender Spalt im Herzen der Stadt. Und die Bewohner
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