Die letzte Nacht
geschickte Manöver. Violas Hände auf dem Rücken, ihr Mund am Hals, ihr Becken, mit dem sie sich an ihn drückte. Er versuchte, sie an den Rand der Tanzfläche zu schieben und fragte:
»Bist du die Bekannte von Jean Salviati?«
Wer in der Schweiz lebt, kennt den Reichtum. Auch wer kein Geld hat. Das Geld ist überall, sieht einem aus den Schaufenstern entgegen, flattert mit den Kreditkarten aus den Geldautomaten. Für jemand, der in der Schweiz lebt, ist es unmöglich, an einer Bank vorbeizukommen und nicht zu denken, dass dort drinnen Beute wartet. Die Leute begnügen sich mit einem Traum: im Lotto zu gewinnen oder eine Million Franken zu rauben. Hin und wieder hat einer sechs Richtige. Und hin und wieder raubt einer eine Bank aus.
Anna legte ihre Theorie mit Feuereifer dar. Ihr Mann sah sie an und sagte:
»Du bist verrückt.«
»Aber es stimmt«, erwiderte sie, »ich hab’s mir schließlich nicht ausgedacht.«
An diesem Morgen waren sie zeitig aufgestanden. Es war Ende August und ein neues Schuljahr stand bevor. Filippo hatte beinahe täglich eine Lehrerkonferenz, während Anna sich mit dem Katalog der jüngsten Neuerwerbungen der Öffentlichen Bibliothek herumplagte. Aber beim Frühstück, während sie in ihrer Ovomaltine herumrührte, ließ Anna ihrer Fantasie freien Lauf.
»Das ist ein Überfall!«, hatte sie gerufen, während ihr Mann eine Orange auspresste. Er, noch im Schlafanzug, hatte sich umgedreht und gefragt:
»Findest du das lustig?«
»Es ist ein illokutionärer Akt«, erklärte Anna, während sie ein Stück Schwarzbrot mit Butter bestrich.
Filippo seufzte nur.
»Es ist eine bestimmte Form der Aussage, die die Sprachwissenschaftler ›illokutionär‹ nennen«, sagte Anna. »Also ein sprachlicher Ausdruck, durch den eine Handlung vollzogen wird, ganz einfach indem dieser Ausdruck zur Anwendung kommt.«
Filippo sah sie an, als habe sie gerade ein Gedicht auf Swahili aufgesagt.
»Das ist doch ganz einfach!«, beharrte Anna. »Wie wenn der Pfarrer oder Standesbeamte sagt: Ihr seid Mann und Frau, und dann sind die beiden verheiratet.«
»Quäl mich nicht …«, murmelte Filippo.
»Du hast keinen Sinn für Humor! In den Sechzigerjahren hat der berühmte Bankräuber Horst Fantazzini einen Haufen Banken ausgeraubt, ohne eine einzige Waffe zu gebrauchen. Er musste sich nur an den Auszahlungsschalter lehnen, die Bankangestellte anschauen und freundlich sagen: Das ist ein Überfall. Sie händigte ihm das Geld aus und er machte sich in aller Ruhe aus dem Staub.«
Filippo sah von seinem Teller auf und sagte:
»Davon hab ich noch nie gehört. Wo hast du das gelesen?«
»Ich habe ein bisschen über Banküberfälle recherchiert. Weißt du, ich kann es kaum glauben, dass wir im Begriff sind, etwas Unrechtmäßiges zu tun.«
»Ja,« Filippos Miene verfinsterte sich, »auch ich kann es kaum glauben.«
»Sag bloß, du bereust es. Wir tun es schließlich für Jean.«
»Ich weiß, ich weiß … aber du wirst zugeben, dass so was nicht alle Tage passiert. Ein Typ, den wir aus dem Urlaub kennen, klingelt an der Tür und sagt: Ich bin ein Dieb, man hat meine Tochter entführt, wir müssen eine Bank ausrauben.«
»Hm, schon … aber du glaubst ihm doch, oder?«
»Natürlich. Ich will keinen Rückzieher machen. Aber weißt du, Anna, die machen ernst! Das ist kein Spiel, und wenn was schiefgeht …«
»O je, wie kann man nur immer so pessimistisch sein. Außerdem meinte Jean, dass wir eine Rolle hinter den Kulissen spielen werden. Letztlich will er im Moment nur, dass wir ein paar Fotos schießen.«
»Das stimmt.« Filippo wischte sich den Mund ab und rutschte mit dem Stuhl nach hinten. »Wann wollen wir das eigentlich machen?«
»Ich dachte am Nachmittag. Wir sollen den Eingang der Bank und alle angrenzenden Straßen fotografieren.«
Anna redete schnell und räumte dabei das Frühstücksgeschirr ab. Sie erinnerte Filippo an ein Kind, das ein Picknick vorbereitet. Er griff nach dem Brotkorb und fragte:
»Und wie willst du es machen? Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass einer hingeht, um die Junker-Bank zu fotografieren.«
»Ich habe schon über alles nachgedacht«, erklärte Anna, »und mir einen Plan zurechtgelegt.«
Filippo ließ sich auf seinen Stuhl zurücksinken und stellte den Brotkorb ab. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Dann gab er sich einen Ruck und fragte:
»Du hast dir … einen Plan zurechtgelegt?«
»Ja, ich hab deine Schwester gefragt, ob sie mir Gigi für
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