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Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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habe Papier, Stift und einen Stadtplan von Bellinzona. Jetzt brauchen wir eine Idee …«
    Alle schauten zu Salviati. Als erwarteten sie, eine Geschichte erzählt zu bekommen. Er ließ den Blick wandern, sah einem nach dem andern ins Gesicht.
    »Es wird eine schwierige Operation«, begann er. »Unser Vorteil ist, dass wir wissen, wer wo wie und wann. Nun brauchen wir eine Idee, um die Karten neu zu mischen und an das Geld zu kommen.«
    »Ist das machbar?«, fragte Francesca.
    »Ich hoffe schon. Aber um gute Arbeit zu leisten, müssen wir vor allem über möglichst viele Informationen verfügen.«
    »Und haben wir die nicht?«, wollte Anna wissen.
    »Noch nicht, ich arbeite daran. Elia und ich werden auf einen kurzen Sprung nach Zürich fahren.«
    Salviati sah zu Contini, der bloß nickte. Francesca mischte sich ein:
    »Und weshalb nach Zürich? Was hat Zürich damit zu tun?«
    »Dort stehen die Computer«, erklärte Salviati. »Und wenn man heutzutage eine Bank ausrauben will, muss man sich erst mal in ihr Computersystem hacken.«

18
Die Prostituierte
    Contini saß allein an einem Ecktisch. Über ihm sandte eine Neonleuchte alle drei Sekunden einen violetten Lichtstrahl aus. Neben ihm, an der Wand, hing ein Poster mit dem Gesicht von Elvis Presley. Contini nahm einen Schluck Whiskey und beobachtete, wie Elvis’ Augen violett wurden, dann in der Dunkelheit verschwanden, dann wieder violett wurden.
    Er hoffte, nicht allzu lange warten zu müssen.
    Der Hot Rock Club war ein Lokal im Niederdorf, dem Fußgängerviertel in der Zürcher Innenstadt. Von außen wirkte es wie eine unbedeutende Kneipe, wer tagsüber vorbeikam, fand es immer geschlossen vor. Es gab kein Fenster, durch das man einen Blick ins Innere hätte werfen können, kein einziges Schild, außer die Aufschrift: LIVE MUSIC  – 22.30–04.00. Tatsächlich griff gegen zwei Uhr morgens ein Fettkloß mit wässrigen Augen in die Tasten, neben der Bühne, auf der sich die Mädchen darboten.
    Die Gäste waren hier und dort verteilt, nie mehr als zwei an einem Tisch. Vor der Bühne befand sich, umrahmt von einer blau schimmernden Neonröhre, eine Freifläche für die, die tanzen wollten. Auf der Bühne brachte etwa alle halbe Stunde eines der Mädchen eine Nummer: meistens ein Striptease, aber nicht zu übertrieben, eine Kostprobe, sozusagen.
    »Willst du mir nicht ein bisschen Champagner spendieren?«, fragte das Mädchen auf Deutsch.
    Contini verstand die Frage, denn er hörte sie bereits zum siebten Mal. Sie war eine ganz Dünne, mit hellblondem, fast weißem Haar. Contini schüttelte den Kopf und machte ein Zeichen, wie um zu sagen: später. Aber er wusste, dass er bald Position beziehen musste. Einer vom Wachpersonal, der versteckt im Schatten stand, hatte ihn bereits seit einigen Minuten im Visier.
    Summertime. Contini erkannte das Stück, das der Fettkloß spielte. Aber zwischen einem Ton und dem nächsten klafften weite Lücken, waren spontan irgendwelche Schnörkel eingefügt, einzig zu dem Zweck, das Süppchen zu strecken.
    Beim nächsten Song, den Contini nicht kannte, setzte sich eine andere Frau zu ihm an den Tisch. Diesmal schien es jedoch die richtige zu sein. Sie hatte schwarzes, schulterlanges, offenes Haar, zwei dunkle Augen und einen dunklen, mediterranen Teint. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte etwas auf Deutsch. Contini schüttelte den Kopf. Die Frau fragte:
    »Do you want to dance?«
    »Wie heißt du?«, fragte Contini auf Italienisch.
    »Ich heiße Viola«, antwortete die Frau ebenfalls auf Italienisch.
    Der Detektiv musterte sie ein paar Sekunden, dann murmelte er:
    »Wieso nicht?«
    Auf der Tanzfläche waren zwei weitere Paare. Eines bestand aus einem sehr braungebrannten Mann um die vierzig und einer Blondine mit spitzen Brüsten und atemberaubenden Beinen. Er schob sie vorsichtig über die Tanzfläche, wie ein Butler, der die Teekanne des guten Services in der Hand hält. Das andere Pärchen war klassischer: er um die sechzig, mit buntem Hemd, sie eine Mulattin, die aussah, als würde sie jeden Augenblick in Gelächter ausbrechen.
    Viola schmiegte sich an Contini. Sie trug ein hautenges, glänzendes Kleid, das die Schultern frei ließ und weit oberhalb der Knie endete. Er, in seinem zerknitterten Leinenanzug mit der schmalen schwarzen Krawatte, wirkte wie ein Bandoneon-Spieler, der sich im Lokal geirrt hatte. Viola sprach mit leiser Stimme direkt in sein Ohr:
    »Gefällt’s dir hier?«
    Contini verstand das

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