Die letzte Nacht
Blick verlor sich auf dem See. »Vielleicht war es nur für mich bestimmt.«
Salviati verzog den Mund und setzte zu einer Antwort an, aber in diesem Augenblick klingelte es.
»Die Truppe kommt«, sagte Contini und trat vom Fenster zurück. »Jetzt ist es Zeit, an die praktischen Dinge zu denken.«
Seit ihrer anfänglichen Begegnung war dies das erste Mal, dass sich alle trafen. Die Stimmung war weniger sorglos. Und genau darüber sprach Salviati.
»Eine Bank auszurauben ist kein Kinderspiel. Man kann darüber lachen, kann so tun, als kämpfe man gegen das System. Aber auch wenn du den Banken Geld wegnimmst, sitzen sie am längeren Hebel. Am Ende siegen immer die Banken.«
Schweigen folgte diesen Worten.
»Schöne Ermutigung«, bemerkte Filippo Corti.
»Wir brauchen das Geld«, entgegnete Salviati. »Wir haben keine Wahl.«
Sie saßen um den Schreibtisch. Salviati und Contini auf einer Seite, Francesca und das Ehepaar Corti auf der anderen. Jeder sah die Anspannung, die Zweifel im Blick der anderen. Die Angst, es nicht zu schaffen.
»Es dauert noch zweieinhalb Monate«, sagte Francesca. »Ist überhaupt sicher, dass es zu diesem Transfer kommt?«
»Sicher ist gar nichts«, erwiderte Salviati. »Aber am 20. Dezember werden wir bereit sein zu handeln.«
Jedes Wort prägte sich der Gruppe ins Gedächtnis. Selbst Contini wirkte weniger gelassen als sonst, schien darauf zu brennen, den Bankraub von einer abstrakten Idee in konkrete Handlung umzusetzen. So war schließlich er es, der das Schweigen brach:
»Du solltest uns jetzt erklären, was wir zu tun haben.«
»Ja«, mischte sich Anna ein, »wir wollen wissen, wie der Plan aussieht. Weshalb hast du Filippo gebeten, das Kommen und Gehen bei der Junker-Bank zu filmen?«
»Immer mit der Ruhe…« Salviati zog einen Notizblock aus der Tasche. »Ich habe alles aufgeschrieben. Es ist eine etwas merkwürdige Idee. Aber wenn du den Fisch an die Angel bekommen willst, musst du ihn austricksen!«
»Einen Fisch?«, rief Filippo. »Worüber reden wir hier eigentlich?«
»Es handelt sich um einen alten Trick aus der Maskenbildnerei«, erklärte Salviati. »Etwas, das meiner Meinung nach klappen könnte.«
»Könnte?«, fragte Contini.
»Ich wollte sagen: kann«, Salviati schlug den Block auf und zeigte seine Notizen. »Es kann klappen! Man muss nur die Details ausarbeiten …«
8
Notizen
Sonntag, 20. Dezember.
Junker-Bank. Bellinzona. Sondereinzahlung: 10 Mio. Fr.
DIE BANK IST GESCHLOSSEN
Eingang: 7 Uhr
Ankunft: 4 Personen für die Einzahlung
– Direktor Giacomo Belloni
– Claudio Melato (Vertrauensmann von Enea Dufaux) mit dem Geld
– Leibwächter von Claudio Melato
– Giuseppe Locatelli (Wachpersonal Junker-Bank)
Junker- Bank
↓
Jean Salviati (Eingang)
Unterstützung: Francesca Besson (Trick!)
(Innen: Contini hat Samstagabend alles vorbereitet) wichtig!
DRAUSSEN
– Filippo Corti/Auto
– Elia Contini, Straßensperre → 6.50 Uhr Baustelle!!!
Austausch → Einzahlung/Verabschiedung, hinaus um 7.15 Uhr, spätestens 7.30 Uhr
Bellonis Haus (Bellinzona Süd)
↓
Anna Corti: Kontrolle!
Später: Anna, Überwachung Viale Stazione, 7.15 Uhr (Eingang)
→ 7.10 bis 7.20 Uhr Contini, Entfernung Baustellenschild!
Achtung: flexible Zeiten:
Eingang 7.00 Uhr
(Ankunft Belloni 6.50 Uhr)
raus: 7.10 Uhr frühestens
raus: 7.30 Uhr spätestens
↓
Filippo Auto hinter vor Bank
9
Die Schwachstelle
Ein Privatdetektiv verbringt den größten Teil seiner Zeit im Auto, dachte Contini, während er von Corvesco in Richtung Süden fuhr. Den lieben langen Tag, die italienische Schweiz rauf und runter, von den Bergen zu den Seen, bis zu den großen Zubringerstraßen.
Er erreichte Mendrisio, parkte in der Nähe des Postamts in der Via Catenazzi. Er klingelte bei der Reinigungsfirma Pulirapida AG, die Person, die er suchte, war nicht im Büro. So legte er ein paar weitere Kilometer bis nach Ligornetto zurück, hielt in der Fraktion Cantinetta.
Auf dem Fußballplatz fand ein Spiel zwischen zwei Dorfmannschaften statt. Contini hielt, um nach Auskunft zu fragen. Ein Junge am Spielfeldrand erklärte ihm den Weg. Unweit der italienischen Grenze, praktisch mitten auf dem Land, hatte man eine Handvoll Häuser errichtet. Dort wohnte Frau Katia Paolucci.
Contini war schlecht gelaunt. Im letzten Monat hatte er nichts zustande gebracht, er verbrachte seine Zeit in Gedanken an den Überfall. Wie sollte man einen treulosen Ehemann beschatten, wenn man in Begriff war,
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