Die letzte Nacht
zehn Millionen zu stehlen?
Salviatis Plan war nicht schlecht. Verrückt, aber vielleicht gerade deswegen einigermaßen Erfolg versprechend. Dem alten Dieb war es gelungen, die ihm zur Verfügung stehenden Spielsteine perfekt aufeinander abzustimmen. Das einzig Dumme war, dass sich Contini nicht als Spielstein empfand. Vielleicht hätte er Giona besser zuhören sollen. Der Schlag der Glocke – Ding – und sofort darauf der zweite – Dong. Contini und Salviati. Filippo und Anna. Contini und Francesca. Aber wer zum Teufel war am Ende er, Contini, zwischen all diesen Glocken?
Ich denke vollkommen wirres Zeug, dachte der Detektiv.
Zum Glück war er am Ziel. Er parkte den Wagen neben einem Brunnen und sah sich um. Die Wiese, die Bäume, die Steinmauern: Alles war wie zuvor, wie im Hochsommer, nur das Licht hatte bereits eine andere Farbe. Contini zog die helle Leinenjacke über und setzte den Strohhut auf, dann trat er auf Katias Haus zu. Sie öffnete sofort, erfreut ihn zu sehen.
»Der Detektiv!«, rief sie. »Wissen Sie, dass ich gerade neulich an Sie gedacht habe?«
»Tatsächlich?«, antwortete Contini.
»Es kam ein Film im Fernsehen, mit einem Detektiv, allerdings so einem amerikanischen, die herumballern und all das, und ich hab gedacht, zum Glück muss Contini nicht so ein Leben führen!«
Contini ging nicht näher auf das Thema ein.
»Ja, natürlich, zum Glück.«
Katia Paolucci war eine korpulente Frau um die fünfzig mit einer dichten Lockenmähne und einem flotten Mundwerk, von dem Contini jedes Mal überrumpelt wurde. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Reinigungskraft für die Pulirapida AG. Sie hatte als kleine Angestellte begonnen, aber nun einen besseren Posten übernommen.
»Sie haben schon seit Längerem nichts mehr für mich zu tun, Signor Contini«, sagte sie, während sie ihn in das mit Nippes und Staubfängern überfrachtete Wohnzimmer führte.
»Ich hatte nichts mit Ihren Kunden zu tun«, erwiderte der Detektiv, »aber jetzt hab ich einen Ort am Wickel, wo auch die Pulirapida tätig ist.«
»Was ist es diesmal, Büro oder Privatwohnung?«
»Eine Bank.«
Katia riss die Augen auf.
»Eine Bank?«
»Ja, eine Bank.«
Für einen Augenblick verschlug es ihr die Sprache. Aber sie fand sie rasch wieder.
»Ah, hab verstanden, irgend so ein Schuft, der die Fotos der Geliebten im Büro aufbewahrt! Aber Sie sind ihm auf die Schliche gekommen, was, Signor Contini? Da sieht man mal wieder, was diese Banker für Schweine sind! Allerdings wird Sie das Foto aus der Bank ein bisschen mehr kosten, wissen Sie, denn es ist nicht so einfach, die Schichten passend zu legen …«
»Es geht um etwas anderes«, warf Contini ein.
»… und man muss auf jeden Fall vorsichtig sein in einer Bank, denn meistens haben die persönlich zugeordnete Eingangsschlüssel und … Verzeihung, haben Sie etwas gesagt?«
»Diesmal geht es um etwas mehr.«
Katia lächelte verschmitzt.
»Na, so was, Signor Contini … Sie wollen doch nicht etwa eine Bank ausrauben?«
»Das hätte gerade noch gefehlt!« Contini lachte. »Nein, es geht um eine Spionageangelegenheit zwischen rivalisierenden Banken. Eine komplizierte Geschichte.«
»Was es heutzutage nicht alles gibt!«
»Ich bräuchte ein Foto von den Büros.«
»Nicht von irgendwelchen Unterlagen oder von brisantem Material?«
Von brisantem Material. Contini fragte sich, wie er ihr Salviatis zweites Anliegen erklären sollte. Aber vielleicht würde es genügen, ein paar Redewendungen aus Spielfilmen zu benutzen.
»Nein, keine Unterlagen. Ich muss nur wissen, wie die Büros angeordnet sind, eigentlich brauche ich nicht einmal ein Foto, ein Plan genügt. Ich bin sicher, dass Sie gründliche Arbeit leisten werden …«
Die Pulirapida AG war eine der beiden größten Reinigungsfirmen im Tessin. Contini hatte auch in der andern eine Kontaktperson, aber er vertraute lieber auf Katia. Sie war eine zuverlässige Frau voller Unternehmensgeist.
»Kein Problem. Ich muss mich als Ersatzkraft für die Junker-Bank einteilen lassen. Das dürfte machbar sein, braucht aber etwas Vorlaufzeit, um insgesamt auszuwechseln, auch ein paar andere, damit’s nicht so auffällt, jedenfalls, wenn’s nicht gleich morgen sein muss, kann man …«
»Dezember«, schaffte Contini zu sagen.
»… die Sache besser organisieren … Dezember?«
»Sie müssten zwei Arbeiten für mich erledigen. Mir die Anordnung der Büros beschreiben, das können Sie machen, wann immer es Ihnen passt.
Weitere Kostenlose Bücher