Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne
von England, selbst die Scheidung gewähren.«
»Wobei Gardiner ihm half«, erinnerte ich Bruder Edmund.
»Aber der Bischof hat versucht, dies hier zu verhindern, die Auflösung der Klöster.«
»Das hat er mir gesagt«, erklärte ich bitter.
»Aber er hat sich ja wirklich mutig bemüht, Schwester Joanna. Er hat 1532 an der Vorbereitung eines Schriftstücks zur Verteidigung der religiösen Praxis in England mitgewirkt, die ihn beinahe um Kopf und Kragen gebracht hätte.«
»Wieso?«, fragte ich.
»Alle glaubten, Gardiner würde nach Warhams Tod Erzbischof von Canterbury werden. Aber mit dieser Schrift verärgerte er den König und wurde seines Postens als Königlicher Sekretär enthoben. An seiner Stelle wurde Thomas Cranmer zum Erzbischof berufen; er ist Cromwells Verbündeter. Sie beide stehen jetzt dem König näher als Gardiner, den der König einst seine ›rechte Hand‹ genannt hat.«
Ich brauchte eine Weile, um das alles zu verarbeiten. »Dann ist Gardiner also zweifellos ein Anhänger des wahren Glaubens.«
Ein Schatten flog über Bruder Edmunds Gesicht.
»Da ist noch etwas?«, fragte ich.
Er nickte. »Kardinal Wolsey selbst hatte Gardiner ausgewählt undin seine Dienste gestellt. Genauso machte er es mit Thomas Cromwell. Aber als der Kardinal stürzte, ließ Gardiner ihn im Stich und lehnte es ab, ihm zu helfen. Cromwell, heißt es, habe um den Kardinal geweint. Gardiner nicht, obwohl er ihm ebenso viel zu verdanken hatte.«
Ich erinnerte mich, dass mir ein besonderer Ton Gardiners aufgefallen war, als er im Tower von Kardinal Wolsey gesprochen hatte. »Wir sind in der Hand eines Mannes, der immer wieder Verrat geübt hat«, sagte ich, den Blick auf den zerschrammten braunen Holztisch gesenkt. Dann kam mir ein Gedanke, und ich sah auf. »Eines habt Ihr mir noch gar nicht gesagt. Als Gardiner nach Cambridge kam, wie hat er Euch da eigentlich behandelt?«
Bruder Edmunds Gesicht verdunkelte sich. »Ich hatte auf eine Anstellung in seinen Diensten gehofft. Ich dachte, er wäre vielleicht durch meine eigenen wissenschaftlichen Bemühungen auf mich aufmerksam geworden. Aber er wollte nur, dass ich Bruder Richard assistierte, und dann auch Euch. Er hat keinen Respekt vor mir, wegen meiner Schwachheit.«
Zaghaft legte ich meine Hand auf seinen Arm. »Bruder Edmund, Ihr müsst durchhalten. Ihr seid jetzt seit mehr als vierzehn Tagen aus Rochester zurück, nicht wahr? Es wird sicher bald besser.«
Er nickte wortlos. Ich hoffte, er würde am nächsten Morgen nicht mehr so gepeinigt aussehen, aber meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Sein Gesicht war so grau und verfallen wie an den Tagen zuvor. Wir saßen auf und ritten durch den kalten Tag, bis der Schneefall uns überraschte.
John, der weit vorausgeritten war, kehrte zurück. »Ich habe die Straße nach Wardour Castle gefunden«, rief er uns zu.
Wir schlugen eine schnellere Gangart an und folgten John. Bald würden wir das Zuhause meiner Cousine zweiten Grades, Mary Howard Fitzroy, erreichen.
Zwar hatte ich sie seit ihrem dreizehnten Lebensjahr nicht mehr gesehen, aber ich hatte immer wieder von ihr gehört. Mit ihrer Schönheit und ihrem Esprit war sie der ganze Stolz ihres Vaters, des Herzogs von Norfolk. Sie war ihm beinahe so teuer wie sein Erbe, der Graf von Surrey. Sie sollte einmal eine glänzende Partie machen, und in der Tat heiratete sie mit fünfzehn Henry Fitzroy, so alt wie sie undein königlicher Bastard. Der Herzog von Richmond war der Sohn König Heinrichs und Bessie Blunts, einer Hofdame von Königin Katharina. Jahrelang war getuschelt worden, der König suche nach einem rechtlichen Mittel, um den Herzog von Richmond zu seinem Nachfolger zu bestimmen. Aber die Frage löste sich von selbst; der junge Herzog war im vergangenen Jahr an einer Lungenkrankheit gestorben, und meine Cousine war als Witwe zurückgeblieben.
Die Straße zum Schloss war kaum mehr als ein Pfad. Es hatte zu schneien aufgehört, aber der Boden war noch feucht, und wir ritten langsam, aus Sorge um die Pferde.
Wie auf ein Stichwort kam die Sonne durch die Wolken und vergoldete unseren ersten Blick auf das Schloss, das sich mitten auf einer weiten Lichtung neben einem glitzernden See erhob, ein weißer Steinbau mit Türmen und Türmchen, kleinen Spitzbogenfenstern und vorspringenden Wehrgängen. Als wir näher kamen, bemerkte ich, dass es nicht quadratisch angelegt war wie Kloster Dartford, sondern ein massiges Sechseck bildete.
Ein breiter ausgetrockneter Graben
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