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Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne

Titel: Die letzte Nonne - Bilyeau, N: Die letzte Nonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Bilyeau
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hatte ich, dem Ruf folgend, eine schwache und verlassene Frau gepflegt, die von meiner Mutter   – und einem großen Teil der Christenheit   – verehrt wurde. Aber damit waren keinerlei politische Ziele verbunden gewesen. Die Hofpolitik hatte mich nie interessiert.
    Vielleicht prüfte Gott mich aus Gründen, die ich nicht erfassen konnte. Wenn ja, dann konnte ich das annehmen, aber mich verlangte nach einem göttlichen Zeichen. Als ich in Gebeten um den Entschluss gerungen hatte, nach Smithfield zu reisen, hatte mich plötzlich eine tiefe Überzeugung meiner Bestimmung erfüllt. Ein wunderbares sicheres Gefühl reiner Ordnung, die dem Chaos entsprungen war. Ich war dem Ruf meiner Seele gefolgt, doch er hatte mich mitten in die gehässige Menge in Smithfield geführt und dann in den Tower of London, in die Hände von Leuten, die versuchten, mich in eine Falle zu locken. Wo hatte ich gefehlt   – welches war mein Vergehen gegen Gott? Meine Knie schmerzten bis zur Unerträglichkeit, dennoch betete ich weiter, bat Gott, mir, wenn schon nicht Bestimmung, so doch ein Gefühl der Ruhe zu schenken, dass ich in seiner Hand war.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort kniete, aber als draußen wieder Schritte laut wurden, waren meine Gebete immer noch nicht erhört worden. Ich stand auf, kurz bevor der junge Hauptmann und Bess, die Dienerin, in die Zelle traten.
    »Ihr werdet jetzt in den Beauchamp Tower gebracht«, kündigte mir der Hauptmann an.
    Draußen auf dem Anger schaute ich zum blauen Himmel hinauf, an dem sich Wolkenfetzen jagten. Ein leichter Wind bewegte mein Haar, als ich, Bess einen Schritt hinter mir, dem Hauptmann einen gepflegten Weg hinunter zu einem dreistöckigen Gebäude gleich westlich des kantigen weißen Burgfrieds folgte. Eine Reihe weißer Maulbeerbäume mit dichtem blassgrünen Laub säumte den Weg. Unter einem stand ein Junge und schüttelte kräftig. Weiße Beeren regneten mit gedämpftem Aufprall auf eine dunkle Decke herab, die er auf der Erde ausgebreitet hatte.
    Wo genau auf dem Tower-Anger wurden wohl die Hinrichtungen vollzogen? Hier waren tapfere Männer wie Morus und Fisher ebenso wie gemeine Verbrecher in den Tod gegangen. Die Hexe Anne Boleyn war vor einem Jahr auf dem Anger hingerichtet worden, nachdem ihr nichtswürdiger Bruder George ihr vorangegangen war. Er war einer der fünf Männer gewesen, die wegen Ehebruchs mit der Königin verurteilt wurden.
    Aber ich durfte jetzt nicht an George und Anne Boleyn denken, wenn ich nicht den Verstand verlieren wollte.
    Glockengeläut schallte über den Anger. Ich suchte nach der Kirche, von der es kam, um aus ihrem Anblick Kraft zu schöpfen, aber ich sah sie nicht.
    »Das sind die Glocken von St Paul’s«, sagte Bess.
    »Ist sie so nah?«, fragte ich.
    »Nein, aber der Wind trägt den Schall, und heute müssen alle Glocken   –«
    Der Hauptmann drehte sich um und brachte sie mit einem Blick zum Schweigen.
    Im Beauchamp Tower wurde ich zu einer Wendeltreppe mit blank getretenen Steinstufen geführt. Im zweiten Stockwerk bogen wir in einen schmalen Gang ab, der uns an einer Reihe von Holztüren vorbeiführte, die in ihrem oberen Teil vergitterte Öffnungen hatten. Ich warf keinen Blick hinein. Ich hörte keine Stimmen, überhaupt keine Geräusche, aber ich war gewiss, dass in jeder Zelle ein Gefangener saß.
    Am Ende des Gangs winkte mir der Hauptmann, ihm durch einen Torbogen in einen zweiten, noch längeren Gang zu folgen. Hinter einer der Türen, an denen ich hier vorüberging, hörte ich das leise, abgerissene Schluchzen eines Mannes. Es klang zum Erbarmen und raubte mir allen Mut. Mich schwindelte plötzlich, und ich streckte eine Hand zur Mauer aus, um mich abzustützen.
    »Miss Stafford?«, rief der Hauptmann am Ende des Gangs ohne einen Funken Teilnahme in dem harten jungen Gesicht.
    Bess drückte mir den Ellbogen. Ich dachte an meinen Onkel, den Herzog von Buckingham, der jedermann durch seine Würde beeindruckt hatte, als er hier, im Tower, gefangengesetzt war, und zwang mich, das letzte Stück Wegs zu gehen.
    Diese Zelle war kleiner und dunkler als mein vorheriges Quartier: rechteckig mit einer Spitzbogennische am Ende und zwei schmalen Fenstern. Ein schmuckloser Kamin an einer Wand, ein Strohlager an der anderen. Mir brannten Augen und Nase vom beißenden Geruch der Lauge, mit der kurz zuvor, wie die noch feuchten Stellen zeigten, Boden und Wände gescheuert worden waren.
    »Ich bringe Euch etwas zu essen«, murmelte Bess und

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