Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Odyssee

Die letzte Odyssee

Titel: Die letzte Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
Vom Netzwerk:
konnten, um den Neuen in Verruf zu bringen. Ich weiß leider nicht mehr, wie er hieß – er trat unter einem sehr langen, indischen Namen auf – Swami Sowieso – aber wie sich später herausstellte, stammte er aus Alabama. Bei seinen Veranstaltungen zauberte er unter anderem geweihte Gegenstände aus dem Nichts herbei und verteilte sie an seine Getreuen. Nun war unser Rabbi zufällig Amateurzauberer, und er trat an die Öffentlichkeit und demonstrierte, wie man so etwas macht. Aber das hat überhaupt nichts bewirkt; die Gläubigen behaupteten, ihr Held verfüge wirklich über magische Kräfte, und der Rabbi sei lediglich eifersüchtig.
    Bedauerlicherweise fiel auch meine Mutter eine Zeitlang auf den Schurken herein – Dad hatte uns kurz vorher verlassen, das mag seinen Teil dazu beigetragen haben – jedenfalls hat sie mich zu einer der Versammlungen mitgeschleift. Ich war damals erst zehn, aber ein so unsympathischer Mensch war mir noch nie begegnet. Sein Bart war so lang und wirr, daß die Vögel darin hätten nisten können – und es wahrscheinlich auch taten.«
    »Klingt wie das Standardmodell. Wie lange konnte er sich halten?«
    »Drei oder vier Jahre. Dann mußte er Hals über Kopf die Stadt verlassen: Man war dahintergekommen, daß er Orgien mit Jugendlichen feierte. Er behauptete natürlich, es handle sich um Geheimrituale zur Rettung der Seelen. Und Sie werden es nicht für möglich halten – «
    »Warten Sie’s ab.«
    »Auch dann hielten ihm viele seiner Opfer weiter die Treue. Ihr Gott war schließlich unfehlbar, also mußte man ihm die Sache wohl angehängt haben.«
    »Angehängt?«
    »Verzeihung – ihn mit falschen Beweisen überführt – die Polizei tat das manchmal, wenn sich ein Verbrecher auf andere Weise nicht fassen ließ.«
    »Hmm. Ihr Swami war ein ganz gewöhnlicher Vertreter der Gattung: Ich bin etwas enttäuscht. Aber er stützt meine Behauptung – ein großer Teil der Menschheit neigte schon immer dazu, zeitweise dem Wahnsinn zu verfallen.«
    »Ein kleiner Vorort von Flagstaff stellt aber keine repräsentative Stichprobe dar.«
    »Richtig, aber ich könnte Ihnen tausend weitere Beispiele nennen – nicht nur aus Ihrem Jahrhundert, das geht zurück bis zu den Anfängen. Für jeden Unsinn, ganz gleich wie absurd, fanden sich unzählige Menschen, die daran glaubten, manchmal mit solcher Inbrunst, daß sie sich lieber töten ließen, als ihre Illusionen aufzugeben. Für mich ist das eine recht brauchbare Definition von Wahnsinn.«
    »Sie würden also jeden als wahnsinnig bezeichnen, der starke, religiöse Überzeugungen hat?«
    »Strenggenommen ja – wenn er wirklich aufrichtig und kein Heuchler wäre. Was ich in neunzig Prozent der Fälle vermute.«
    »Rabbi Berenstein war sicher aufrichtig gläubig – und er war nicht nur einer der vernünftigsten Männer, die ich kenne, sondern auch ein wirklich feiner Kerl. Und wie erklären Sie sich folgendes? Das einzige echte Genie, dem ich je begegnet bin, war Dr. Chandra, der Leiter des HAL-Projekts. Einmal ließ er mich in sein Büro kommen – ich klopfte an, und als sich niemand meldete, dachte ich, es sei leer.
    Er kniete vor einer Gruppe bizarrer kleiner, mit Blumen geschmückter Bronzestatuen und betete. Eine Statue sah aus wie ein Elefant … eine zweite hatte eine Unmenge von Armen … Es war eine peinliche Situation, aber zum Glück hatte er mich nicht bemerkt, und ich konnte mich auf Zehenspitzen davonschleichen. Würden Sie sagen, er sei wahnsinnig gewesen?«
    »Sie haben ein schlechtes Beispiel gewählt: Viele Genies sind verrückt! Aber präzisieren wir: nicht wahnsinnig, sondern auf Grund von Kindheitserlebnissen psychisch geschädigt. Die Jesuiten haben einst gesagt: ›Gebt uns einen Jungen für sechs Jahre, und er gehört uns für immer.‹ Wenn sie Klein-Chandra rechtzeitig in die Finger bekommen hätten, wäre er ein frommer Katholik geworden – und kein Hindu.«
    »Möglich. Aber eins begreife ich nicht – warum wollten Sie mich denn unbedingt kennenlernen? Ich war nie besonders fromm. Was habe ich mit alledem zu tun?«
    Und nun gab Dr. Khan langsam und genüßlich sein großes, lange gehütetes Geheimnis preis.

20
Der Ketzer
    AUFZEICHNUNG – POOLE
    Hallo, Frank … Nun hast du Ted also endlich kennengelernt. Ja, man könnte ihn als schrullig bezeichnen – wenn das die richtige Definition für einen Enthusiasten ohne jeden Humor ist. Aber so werden die Leute mit der Zeit, wenn sie im Besitz einer Großen Wahrheit sind

Weitere Kostenlose Bücher