Die letzte Odyssee
– hörst du die Großbuchstaben? – und ihnen niemand zuhört … Ich bin froh, daß du ihm zugehört hast – und ich kann dir nur raten, ihn ernstzunehmen.
Du sagst, du seist überrascht gewesen, in Teds Wohnung an exponierter Stelle das Portrait eines Papstes hängen zu sehen. Das muß sein Held gewesen sein, Pius XX. – ich habe ihn sicher schon einmal erwähnt. Schlag nach – man nennt ihn meist den Impius! Es ist eine faszinierende Geschichte, und sie weist verblüffende Parallelen mit Ereignissen auf, die kurz vor deiner Geburt stattfanden. Sicher ist dir bekannt, daß Michail Gorbatschow, Präsident der Sowjetunion, am Ende des 20. Jahrhunderts den Sturz seines eigenen Regimes herbeiführte, indem er dessen Verbrechen und Exzesse aufdeckte. Der Mann wollte gar nicht so weit gehen – er hatte gehofft, das System reformieren zu können, aber das war nicht mehr möglich. Ob Pius XX. die gleichen Motive bewegten, werden wir nie erfahren, denn bald, nachdem er die geheimen Akten der Inquisition freigegeben und damit in aller Welt Entsetzen ausgelöst hatte, wurde er von einem geisteskranken Kardinal ermordet…
Die Gläubigen hatten den Schock über die Entdeckung von TMA-0 wenige Jahrzehnte zuvor noch nicht überwunden – Pius XX. war davon sehr beeindruckt, es hatte sicher Einfluß auf sein Verhalten …
Aber du hast mir immer noch nicht gesagt, wieso Ted, dieser alte Krypto-Deist, meint, du könntest ihm bei seiner Suche nach Gott behilflich sein. Ich glaube, er ist IHM immer noch böse, weil ER sich so erfolgreich versteckt. Aber verrate ihm lieber nicht, daß ich das gesagt habe.
Warum eigentlich nicht?
Alles Liebe – Indra.
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MISS PRINGLE
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Hallo – Indra – komme eben von meinem zweiten Treffen mit Dr. Ted. Habe ihm nicht verraten, warum du glaubst, daß er auf Gott so sauer ist!
Aber wir hatten einige sehr interessante Streit-, nein, Zwiegespräche, wobei er natürlich das große Wort führt. Wer hätte gedacht, daß ich mich nach so vielen Jahren als Ingenieur noch einmal mit Philosophie beschäftigen würde? Vielleicht mußte ich das eine erst durchleben, um das andere schätzen zu können. Wie er mich wohl beurteilen würde, wenn ich sein Schüler wäre?
Gestern habe ich folgenden Ansatz ausprobiert, nur um zu sehen, wie er reagierte. Vielleicht ist die Argumentation sogar neu, obwohl ich das eher bezweifle. Ich dachte, es interessiert dich vielleicht – würde gerne hören, was du dazu zu sagen hast. Hier nun unsere Diskussion – MISS PRINGLE – KOPIE AUDIO 94.
»Ted, Sie werden mir gewiß nicht abstreiten, daß die großen Kunstwerke der Menschheit in den meisten Fällen von religiöser Frömmigkeit inspiriert wurden: Ist das kein Beweis?«
»Sicher – aber ein Beweis, an dem ein wahrer Gläubiger nicht viel Freude hätte! Von Zeit zu Zeit stellen die Menschen Listen der größten, wichtigsten und besten Dinge auf – das war sicher auch zu ihrer Zeit schon sehr beliebt.«
»Selbstverständlich.«
»Nun, man hat das auch mit Kunstwerken versucht, und einige dieser Listen haben eine gewisse Berühmtheit erlangt. Natürlich können sie keine absoluten – ewigen – Wertmaßstäbe setzen, aber sie sind doch interessant und zeigen, wie sich der Geschmack von Epoche zu Epoche wandelt.
Die letzte Liste, die ich gesehen habe – sie kam erst vor wenigen Jahren über das
Barth Artnet –
unterteilte sich in Architektur, Musik und Bildende Künste … Einige Beispiele habe ich mir gemerkt … das Parthenon, das Tadsch Mahal … Bachs
Toccata und Fuge
an erster Stelle in der Spalte Musik, gefolgt von Verdis
Requiem.
In der bildenden Kunst – natürlich die
Mona Lisa.
Dann – ich weiß nicht, ob die Reihenfolge stimmt – eine Gruppe von Buddha-Statuen irgendwo in Ceylon und die goldene Totenmaske des jungen Königs Tut.
Selbst wenn ich mich an alle anderen Positionen erinnern könnte – ich kann es natürlich nicht, aber das ist nicht weiter schlimm: Wichtig ist der kulturelle und religiöse Hintergrund, vor dem die Werke entstanden sind. Insgesamt hat keine einzelne Religion dominiert – außer in der Musik. Und das ist möglicherweise auf eine rein technische Besonderheit zurückzuführen: Die Orgel und alle anderen präelektronischen Musikinstrumente erlebten ihre Blüte im Christlichen Abendland. Es hätte auch anders kommen können … wenn etwa die Griechen oder die Chinesen Maschinen nicht nur als Spielerei betrachtet hätten.
Doch der
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