Die letzte Odyssee
Maria sind die Scharen, die sich mit Leib und Seele so völlig verschiedenen Gottheiten wie Rama, Kali, Siva, Thor, Wotan, Jupiter, Osiris, etc. etc. verschrieben haben … Das überzeugendste – und zugleich abschreckendste – Beispiel für einen hochintelligenten Menschen, der durch seine religiösen Überzeugungen zum tobenden Irren wurde, ist Conan Doyle. Obwohl seine hochverehrten Medien reihenweise als Betrüger bloßgestellt wurden, war sein Glaube an sie nicht zu erschüttern. Der geistige Vater von Sherlock Holmes wollte sogar den großen Magier Harry Houdini davon überzeugen, daß er ›dematerialisiere‹, wenn er seine Entfesselungskünste vorführe – dabei beruhten diese oft auf ›lächerlich simplen Tricks‹, wie Dr. Watson zu sagen pflegte. (vgl. dazu den Aufsatz ›The Irrelevance of Conan Doyle‹ in Martin Gardners
The Night Is Large.)
Material zur Inquisition, deren frommes Schreckensregiment Pol Pot und die Nazis wie die Waisenkinder aussehen läßt, findet sich in Carl Sagans vernichtendem Angriff gegen den Schwachsinn des New Age,
The Demon-Haunted World.
Wenn es nach mir ginge, würde dieses Buch – und das von Martin – an jeder High School und in jedem College als Pflichtlektüre eingeführt. Zumindest gegen
eine
religiös motivierte Barbarei hat die Einwanderungsbehörde der Vereinigten Staaten inzwischen energisch Partei ergriffen. Wie in
Time Magazine
(›Milestones‹, 24. Juni 1996) gemeldet wird, haben Mädchen, denen in ihrem Geburtsland die Verstümmelung der Genitalien droht, inzwischen Anspruch auf Asyl. Ich hatte dieses Kapitel bereits fertiggestellt, als mir Anthony Storrs
Feet of Clay: The Power and Charisma of Gurus
(The Free Press, 1996) in die Hände fiel, sozusagen ein Standardwerk zu diesem deprimierenden Thema. Kaum zu glauben, daß einer dieser falschen Propheten, als ihn die U.S. Marshals endlich verhafteten, sage und schreibe dreiundneunzig Rolls-Royces zusammengerafft hatte! Schlimmer noch – von seinen amerikanischen Opfern, die in die Tausende gingen, hatten 83% ein College besucht. Meine Definition gilt also immer noch: ›Ein Intellektueller ist ein Mensch, dessen Intelligenz mit seiner Bildung nicht mithalten kann.‹
KAPITEL 26: TSIENVILLE
Bereits 1982 im Vorwort zu
Odyssee 2010
hatte ich erklärt, warum ich das chinesische Raumschiff, das auf Europa landete, nach Dr. Tsien Hsue-shen benannte, einem der Väter der U.S.-amerikanischen wie der chinesischen Raketenprogramme.
Tsien, geboren 1911, kam 1935 mit Hilfe eines Stipendiums aus China in die Vereinigten Staaten, wo er zunächst bei dem genialen ungarischen Aerodynamiker Theodor von Karman studierte, um später als Kollege mit ihm zusammenzuarbeiten. Als erster Goddard-Professor am California Institute of Technology war er am Aufbau des Guggenheim Aeronautical Laboratory beteiligt – dem unmittelbaren Vorgänger des berühmten Jet Propulsion Laboratory von Pasadena. Wie die
New York Times
(28. Oktober 1966) in ihrem Artikel (›Peking Rocket Chief Was Trained in U.S.‹) ganz richtig bemerkte, ist ›Tsiens Leben … eine Ironie des Schicksals in der Geschichte des Kalten Krieges.‹ Kurz zuvor hatte China über seinem eigenen Hoheitsgebiet einen Atomwaffentest mit ferngelenkten Raketen durchgeführt.
In den fünfziger Jahren leistete Tsien einen wesentlichen Beitrag zur amerikanischen Raketenforschung und hatte Zugang zu streng geheimen Unterlagen, dennoch wurde er, als er seine chinesische Heimat besuchen wollte, in der Hysterie der McCarthy-Ära verhaftet und mit völlig aus der Luft gegriffenen Anschuldigungen des Geheimnisverrats bezichtigt. Nach langer Untersuchungshaft und unzähligen Verhören schob man ihn schließlich in seine Heimat ab und verlor damit einen der fähigsten Wissenschaftler jener Zeit. Viele seiner berühmten Kollegen haben mir bestätigt, dies sei eine der größten (und skandalösesten) Dummheiten gewesen, die sich die Vereinigten Staaten je geleistet hätten.
Nach seiner Ausweisung baute Tsien laut Zhuang Fenggan, dem Stellvertretenden Direktor des wissenschaftlich-technischen Ausschusses der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas ›das Raketengeschäft‹ aus dem Nichts auf … Ohne ihn wäre China auf technischem Gebiet um zwanzig Jahre im Rückstand gewesen. Mit entsprechenden Verzögerungen wäre wohl auch beim Einsatz der Schiffsabwehrrakete ›Seidenraupe‹ und bei der Inbetriebnahme der Satellitenabschußrampe ›Langer Marsch‹ zu rechnen gewesen.
Kurz
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